Freitag, 13. November 2015
Aula der Hochschule für Philosophie
Trialog von Philosophie, Psychologie und Psychiatrie
Authentizität ist zum Schlüsselwort personalisierter Psychotherapie geworden. Als „authentisches Chamäleon“ (Arnold A. Lazarus) soll sich die behandelnde Person der behandelten anpassen, ohne die menschliche Echtheit aufzugeben. Die Therapeuteneigenschaft Authentizität ist ebenso schulenübergreifend Konsens wie das Therapieziel Authentizität (wahres Selbst, Selbstmanagement, Identität), insbesondere in der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen. Pathologien der Authentizität wurzeln in der frühen Entwicklung des Selbst, in der Suche nach Bindungssicherheit. Sie erfordern Therapeutinnen und Therapeuten, die einen sicheren Raum anbieten und gleichzeitig mit Unsicherheit umgehen können.
Die Hochschule für Philosophie lädt Interessierte aus Philosophie, Medizin, Psychologie ein, nach dem Menschenbild der Psychotherapien sowie nach dessen begrifflichen und gesellschaftlichen Grundlagen zu fragen. Es entspricht der interdisziplinären Ausrichtung der Hochschule, dass auch bei dieser Tagung die philosophische Reflexion mit der empirischen Forschung im Gespräch ist.
Prof. Dr. Brüntrup SJ
Prof. Dr. Frick SJ
Prof. Dr. Reder
Prof. Dr. Dr. Dr. Tretter
Programm
9:00 Uhr
Eröffnung
Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ
(Hochschule für Philosophie München)
9.40 Uhr
Der moderne Mythos Authentizität. Sozialphilosophische Anmerkungen
Prof. Dr. Michael Reder
(Hochschule für Philosophie München)
Authentizität spielt in modernen Gesellschaften eine zentrale Rolle. Menschen werden
gesellschaftlich mehr und mehr herausgefordert, in eigenen Erzählungen über ihre Biographie
Rechenschaft abzulegen und dabei möglichst authentisch zu sein. Inwiefern dieses Ideal in
sozialphilosophischer Hinsicht sinnvoll erscheint und was die Grenzen dieses modernen Mythos
sind, will der Vortrag diskutieren.
10.40 Uhr
Kaffeepause
11.10 Uhr
Dipl.-Psych. Stephanie Draschil
(Ludwig-Maximilians-Universität München)
Unser Streben nach Selbstverwirklichung folgt der Verheißung eines besseren Lebens:
Wer sein wahres Selbst kennt und es wahr werden lässt, lebt nicht nur glücklicher, sondern auch
gesünder. Der derzeitige Forschungsstand in der Sozialpsychologie bestätigt dieses positive
Authentizitätsverständnis. Was aber bedeutet es in diesem Zusammenhang, authentisch
zu sein und ist Authentizität tatsächlich ausnahmslos vorteilhaft? Eine kritische Auseinander-
setzung für und wider die Authentizität als Allheilmittel.
12.10 Uhr
Mittagspause
14.10 Uhr
Prof. Dr. Eckhard Frick SJ
(Hochschule für Philosophie, München)
Authentizität ist ein Lieblingsbegriff der späten Moderne, der deskriptiv-empirisch, interpretativ,
evaluativ und normativ verwendet wird. Als Argumentationsstopper kann er die (Selbst-)
Immunisierung begünstigen, v.a. in seiner normativen Komponente, als Sehnsuchtsort, der zwar
angestrebt wird, aber als solcher unerreichbar, unerfüllbar bleiben muss. In der klinisch-
psychopathologischen Figur des „falschen Selbst“ (D.W. Winnicott) bzw. der „Persona“ (C.G. Jung)
schwingt auf den ersten Blick die Normativität des authentischen, „wahren" Selbst mit. Wenn sich
durch die Dialektik der therapeutischen Beziehung die Gegensätze Analysand/Analytiker und
krank/gesund relativieren, dann wird Authentizität gefördert, nicht als Besitz, sondern als Prozess.
15.10 Uhr
Kaffeepause
15.40 Uhr
Prof. Dr. Dr. Dr. Felix Tretter
(Bayerische Akademie für Suchtfragen München)
Die Kategorie „psychische Störungen“ hängt inhaltlich eng mit dem Konzept der personalen
Identität zusammen: Die Person verhält sich in der Krise objektiv und subjektiv nicht mehr
wie vorher, sie ist anscheinend im Kern ihrer Persönlichkeit (s.u.), in ihrem Wesen, „verändert“.
Bei schizophrenen Störungen, die mehrere Wochen oder länger dauern können, oder im
Drogenrausch verhalten sich die Betroffenen so „wesensfremd“, dass sie sich nachher über
diese Persönlichkeitsanteile wundern, wenn nicht sogar schämen. Hier stellt sich die kritische
Frage nach der Beschreibungskraft der Kategorie Authentizität, die vor allem die Differenz von
Persönlichkeit (transsituative affektiv-kognitive Verhaltensdispositionen) und sozialer Rolle
bezeichnet. Dieser Aspekt ist in der Psychiatrie praxisrelevant, insofern den PatientInnen in
der Rehabilitationsphase geraten wird, „authentisch“ zu sein, wenn das Rollen-Spiel zu riskant
wird: z.B. sollen AlkoholikerInnen in feierlichen Situationen mit Alkoholangeboten ihre
Ablehnung möglichst authentisch begründen („Ich bin AlkoholikerIn“), obwohl sie dadurch
ihre Stigmatisierung und Exklusion riskieren. In diesem Sinne soll im Vortrag die Bedeutung
der Kategorie Authentizität für die Psychopathologie diskutiert werden.
16.40 Uhr
Abschlussdiskussion
Moderation:
Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ
17.10 Uhr
Ende der Tagung
Organisation
Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ (Hochschule für Philosophie)
Prof. Dr. Eckhard Frick SJ (Hochschule für Philosophie)
Prof. Dr. Michael Reder (Hochschule für Philosophie)
Prof. Dr. Dr. Dr. Felix Tretter (Bayerische Akademie für Suchtfragen)
Weitere Informationen
Veranstaltungsort
Aula der Hochschule für Philosophie
Kaulbachstr. 31a
80539 München
Fortbildungspunkte
Für die Veranstaltung wurden 6 Fortbildungspunkte der BLÄK vergeben.
Gefördert durch den Erich-Lejeune-Lehrstuhl für Philosophie und Motivation