Internationales Kant-Symposium der Universität Mugla

Internationales Kant-Symposium der Universität Mugla (Mugla/Türkei, 6.-8. Oktober 2004); Tagungsbericht von Thomas Nawrath M.A.

A. Detaillierte Anmerkungen zu den Referaten (Auswahl)

 

Manfred Baum (Wuppertal): Recht und Ethik in Kants praktischer Philosophie

Baum lieferte ausgehend von einem Referat des Problemniveaus der vorkanitschen Rechtsphilosophie eine beeindruckende Systematisierung desjenigen, was die "Metaphysik der Sitten" zu einer großen Antwort im philosophiegeschichtlichen Diskurs macht. Dabei hat er insbesondere die Struktur der beiden Teile dieser Schrift aufgrund der sie ausmachenden drei kategorischen Imperative hervorgehoben. Hierdurch ist es möglich, eine äußerst klare Grenzziehung zwischen demjenigen zu erlangen, was Rechts- und was Tugendpflichten sind; denn es gibt nach Kant nur diese beiden Tugendpflichten zu Perfektion der eigenen Anlagen und zum Glück anderer Menschen.
Allerdings hat diese Zugangsweise durchaus ihre Probleme. So fehlte etwa der Bezug dazu, was den Kantischen Staatsbegriff ausmacht. Jede Form von Ausdeutungen dieser Konstellation kategorischer Imperative und die Unterscheidung zwischen der Metaphysik und den metaphysischen Anfangsgründen in der “Metaphysik der Sitten” unterblieb.

Kostas Koukouzelis (London): Kant’s Notion of Independence as ‘Political Freedom’

Das Referat von Koukouzelis wird einen äußerst wichtigen Beitrag in der Erforschung der politischen Philosophie darstellen. Denn er analysierte den Begriff des Liberalismus bei Kant. Im Gegensatz zu der Interpretation von Habermas handelt es sich hierbei nämlich nicht einfach um eine ökonomie-philosophisch angeregte These (wie Kants vielfacher Hinweis auf die Schriften Adam Smiths nahe legen würde), sondern um ein politisches Konzept. Kantischer Liberalismus fordert dabei vor allem eine Inklusion, wie sie nicht allein rechtlich und außerhalb jeder ökonomischen Betrachtung gefunden werden könnte.

Eckhard Arnold (Düsseldorf): Eine unvollendete Aufgabe: Das bleibende Vermächtnis von Kants politischer Philosophie

Arnold referierte die Argumentation der Friedensschrift und fragte danach, ob sie empirisch falsifiziert wäre. Dies führte zur Problematisierung des Kriteriums, indem er die Friedensschrift als die Vorwegnahme der Theorie vom demokratischen Frieden interpretierte. Daraus ergab sich, dass Kant empirisch nicht widerlegt wäre, aber dennoch fallibel bliebe.
Damit zeigt sich, dass der Referent zwar etwas buchstäblich gelesen, aber keineswegs verstanden hätte. Denn Kant schlägt gerade keine Theorie des demokratischen Friedens vor (also dass sich Demokratien nicht in Staatenkriegen angreifen). Sicherlich hat Arnold Recht, wenn er den Verteidigungsfall und den innerstaatlichen Krieg aus der Definition der Friedensthese herausnimmt. Dennoch verpasst er die Spitze von Kants Argument, dass auf den rechtsstaatlichen Charakter einer Republik als Regierungsform, nicht auf die Herrschaftsform abhebt. Insofern aber unterläuft Arnold das Kantische Niveau in doppelter Hinsicht: Zum einen wird er der Argumentation nicht gerecht, die eben außerhalb jeder empirischen Falsifikation bleibt (eine politologische Falsifikation kann nur die Herrschaftsform untersuchen, da nur sie empirisch gegeben ist); zum anderen deutet er die Friedensschrift als geschichtsphilosophische „Aufgabe”, rückbezieht sie aber nicht auf Kants Geschichtsphilosophie als einer Reform von oben (in ihren vielen Bedeutungen).
Seine Abschlussfrage, ob die UNO einen Völkerbund darstellen könne, erscheint vor diesem Hintergrund bereits als Anmaßung, wird sich aber inhaltlich nicht besser stellen können. Denn Arnold sieht die Gefahr einer Aushöhlung der staatlichen Souveränität durch eine Stärkung des Völkerbundes als eine Gefahr für den Erfolg eines äußerlichen Friedens. Die Tiefe von Kants Argument, das bereits auf der anthropologisch-pragmatischen Ebene im „Handelsgeist“ die zivile entwicklungspolitische Dimension anspricht, bleibt Arnold gänzlich unbekannt. Daher führt das Besuchsrecht, das zutreffend als Kolonialismusverbot verstanden wird, zu dem Dilemma, dass jede Form von Kontaktaufnahme verboten wird.

Gernot Lennert (Mainz): Vom "ewigen Frieden" zum Krieg für Demokratisierung? Kants Schrift "Zum ewigen Frieden": Ihre Bedeutung für politikwissenschaftliche Theoriedebatten und die Weltpolitik am Anfang des 21. Jahrhunderts

Ebenso wie Arnold fragt auch Lennert nach den empirischen Bedingungen des demokratischen Friedens. Dabei geht Lennert jedoch direkt den konsequenten Schritt weiter, indem er Kant nur als geistesgeschichtlichen Stichwortgeber hierfür, nicht aber als argumentativ relevant herausstellt. Seine These, der demokratische Friede funktioniert - ob mit oder ohne Kant, fasst dies nochmals zusammen.
Umgekehrt wäre zu fragen, was dieser Beitrag überhaupt mit Kant zu tun hat? Anstelle einer empirischen Überflutung der Zuhörer mit den Daten zahlloser Beispiele hätte vielmehr eine Betonung dessen seinen Wert gehabt, herauszustellen, inwiefern Kant als Stichwortgeber ideengeschichtlich relevant gewesen sein könnte. Denn die Theorie vom Völkerbund und einem ewigen Frieden übernimmt Kant selbst bereits aus der französischen Aufklärung und fasst sie in einer eben nicht nur empirisch-plausibilistischen Argumentation zusammen.

Thomas Nawrath (München): Interpersonale Sozialphilosophie. Grundlegung der Sozialwissenschaften im Paradigma Kants

Mein Referat umfasste eine Weiterentwicklung derjenigen Thesen, die ich in meiner Magisterarbeit an der Hochschule für Philosophie entwickelt habe. Es versuchte die Möglichkeit einer Erkenntnis sozialer Phänomene (das normengeleitete Handeln) transzendentalphilosophisch zu verorten. In einem zweiten Schritt sollte erläutert werden, wie diese Erkenntnisweise als Wissenschaft vorgetragen werden könne. Beide Stränge, Transzendentalphilosophie und metaphysisch-anfängliche Phänomenologie, müssen hierzu nach Kant in einem apodiktischen Inbegriff (scholastisch: einem Formalobjekt) konvergieren, was den dritten Schritt meines Referats und die Ergebnisthese darstellte: Man muss bereits im Denken Kants eine Philosophie der Interpersonalität sehen.
Dabei konnten die Nachfragen in der Diskussion ausgeräumt werden, da es sich hierbei um Punkte handelte, die der Kürzung zum Opfer fielen.

Karl-Otto Apel (Frankfurt): Transzendatalpragmatische Reflexion als Hauptperspektive einer aktuellen Kant-Transformation

Apel setzte damit an, dass er seine systematischen Fragen bei Kant nicht beantwortet, ja nicht einmal gestellt gefunden hatte. So vor allem die Frage nach der Wissenschaftlichkeit verstehender Sozialwissenschaften. Daher hat er, nach einer Zwischenstationen bei Heidegger, eine neue Heimat bei den amerikanischen Pragmatisten wie William James gefunden. Unter Hinzunahme des Linguistic turn bestand seine Aufgabe nun darin, die Grundlagen für die Pragmatik im sprachlichen Handeln zu suchen. Diese können nur transzendentalphilosophisch erläutert werden. Eine Phänomenologie, selbst Husserlschen Zuschnitts, verbleibt noch zu sehr bei den Dingen. Ihr fehlt die menschliche Perspektive, die erst durch die Sprachphilosophie und ihrer Erläuterung der weltkonstitutiven Funktion der Sprache für den Menschen beantwortet werden kann. Dabei kann eine transzendentale Perspektive nur auf die Pragmatik des Sprechens abheben, denn nur hier kann die Diversifizität der historisch-kontingenten Sprachen verbunden werden.
Hierzu ist allerdings anzumerken, dass der Mangel an Sozialphilosophie bei Kant noch kein Grund ist, ihn abzulehnen, sondern eine Forschungsaufgabe darstellt (wie ich in meinem Referat einen Lösungsvorschlag zu diesem Thema vorgetragen habe). Ob sich, ungeachtet dessen, das Projekt einer Transformation der Transzendentalphilosophie vom Objekt zum Subjekt und nun zu dessen Sprachhandlungen überhaupt sinnvoll einbringen lässt, kann ebenfalls bezweifelt werden. Es ist keineswegs so, dass diese Theorien erst im zwanzigsten Jahrhundert entwickelt worden wären. Vielmehr ist die Kant-Herder-Konstellation gerade hierdurch gekennzeichnet: Gibt es einen Verstand oder hat jeder Mensch seine eigene Welt (Privatsprachargument)? Das damals erreichte Problemniveau in der Frage, ob es einen oder mehrere Schematismen gebe, wäre hierzu zu reflektieren. Apel hingegen geht einen anderen Weg. Er befragt die Philosophen, die sich ohnehin schon auf die Seite der linguistischen Perspektive geschlagen haben. Diese auszublenden würde natürlich eine Nachlässigkeit darstellen; aber sie zum Ausgang zu wählen stellt ebenso eine Einseitigkeit dar. Kant gerade hat sich zwischen dem Idealismus, der allein auf der Form des Ich-Begriffs anhebt, und der Hermeneutik, die auf der Verschiedenheit des Materials beharrt, einen Mittelweg zu gehen versucht. Sicherlich mit dem konkreten Anliegen, die Naturwissenschaften zu begründen, allerdings durchaus mit der Perspektive für Wissenschaften überhaupt.

Karel Mom (Niederlande): Two Faces of Irony: Kant and Rorty

Mom referierte über den literarischen Stil in der Friedensschrift und versuchte hieraus Rückschlüsse zu ziehen, wie Kant sich zur Politik verhalten haben mag. Dazu hat er pointiert Vaihingers Überschrift zu dessen Interpretation der entsprechenden Schriften kritisiert: „Kant als Politiker“. Moms These lautete, dass Kant kein Politiker sei.
Dies versuchte er dadurch zu begründen, indem er Kants Stil der ironischen Wendungen mit demjenigen verglich, was Rorty unter Ironie als der demokratiekonstitutiven Kommunikationsweise versteht. Nur durch (Selbst-) Ironie ist es nach Rorty möglich, verantwortungsethische Diskurse zu führen. Ohne solche Diskurse kann es aber keine Demokratie geben, denn sie sind gerade der eigentliche Sinn von Demokratie. Hieraus folgerte Mom, dass Kant kein Politiker im engeren Sinne sein könne. Denn seine ironische Sprache verrate ihn gerade als Bürger.
Hierzu wäre anzumerken, dass die Beispiele, die Kant beim Gedanken an eine Freiheit der Feder vor Augen hatte, zu referieren wären und deren Stil ebenfalls zu reflektieren bleibt. Ferner fehlt eine systematische Verortung anderer Schriften Kants. Die Naturphilosophie etwa ist More geometrico verfasst, die Rechtslehre wirft mit entsprechendem Fachvokabular um sich. Was bedeutet dies für den „Politiker“ Kant?

Gerrit Steunebrink (Niederlande): On the relation between politics and law in Kant's 'On eternal peace' and its reflections in the commentaries of Habermas and Rawls

Steunebrink musste sein Referat um das Kapitel zu Habermas kürzen, hat also nur den Teil zu Kant und Rawls diskutiert. Darin stellte er heraus, dass Rawls Bezirke verschiedener Rechtsauffassungen zulasse. Angesichts der Ausdehnung dieses Gedankens auf den Bereich der Grundrechte fielen so die allgemeinen Menschenrechte weg. Kant hingegen betone in seiner Friedensschrift die Republikanisierung als einer notwendigen Bedingung zur Stiftung eines ewigen Friedens. Die Republikanisierung aber umfasse wesentlich den Bezug auf eine Verfassung mit einem Grundrechtekanon, um überhaupt den Charakter einer Republik ausdrücken zu können. Insofern sind die Menschenrechte bei Kant strikt universalistisch zu deuten.
Hierzu ist festzuhalten, dass Kant wiederum die Regierungsform und das noumenale Oberhaupt meint, das die Grundrechte garantiert, während hingegen Rawls gar nichts anderes als ein phaenomenales Oberhaupt annehmen darf. Inwiefern es sich also um zwei überhaupt vergleichbare Ansätze handelt, ist bereits fraglich. Ferner ist der kriteriologische Status der Rechtslehre zu berücksichtigen, den Rawls gar nicht sucht. Vielmehr handelt es sich bei Rawls um ein gewissermaßen utopisches Vertragsmodell, dass einen denk-optimalen Zustand zu verwirklichen thematisiert. Die Frage müsste also lauten: Was heißt jeweils Denken? Wie relativ kann oder muss Denken sein?

J. M. L. M. van Gorkom (Niederlande): Immanuel Kant and the Invention of Literature

Van Gorkom hat sein äußerst spannendes Promotionsprojekt vorgestellt, indem es den Literaturbegriff von Derrida und den Schematismus von Kant in Kontrast und somit möglicherweise in Verbindung zu setzen versucht. Dabei stellt die Literatur eine selbstreferenzielle Frage- und Antwortinstitution dar, die sich selbst hinterfragen kann. Es handelt sich also um einen äußerst weiten Begriff von Literatur.
Diesen Zusammenhang findet van Gorkom, angeregt von Derridas eigenen Hinweisen, bei Kants Typisierung des Genies in der „Kritik der Urteilskraft“ wieder. Denn das Genie kann aufgrund eigener Vortrefflichkeit ein Paradigma schaffen, das der Optimalität und Originalität nach nur mit der Natur selbst verglichen werden kann. Dadurch wird sich das Genie einerseits selbst zur Frage, andererseits aber auch zur eigenen Antwort im Schaffensprozess. Wie bereits viele andere Autoren zuvor versucht van Gorkom das Genie nun politisch auszudeuten. Seine besondere Pointe besteht darin, dass Derrida die Institution der Demokratie und der Literatur als gegenseitig konstitutiv charakterisiert hat. Das ist eine besondere Erkenntnisweise, die die dritte Kantische Kritik ebenfalls erläutert.
Dieser Ansatz ist herausragend fruchtbar und darf als ein höchst aktuelles Verständnis der systematischen Fragen der politischen Philosophie angesichts der postmodernen Kritik gelten, die deren Möglichkeit angesichts des kulturellen Relativismus leugnet.

Hasan Ünal Nalbanto—lu (Türkei): »Buchmacherei« Ve »Schwärmerei« karÏ2s2nda Kant

Über diesen türkisch-sprachigen Beitrag kann selbstverständlich keine Anmerkung in Hypothesi erfolgen, dennoch über die Form des Ansatzes überhaupt. Denn Nalbanto—lu hat versucht das medienkritische Projekt der Frankfurter Schule (Kulturindustrie) auf Kritikpunkte Kants anzuwenden, die sich auf das Phänomen der populären Buchmacherei bezogen haben: Die Marktüberschwemmung durch Romane unterstütze keineswegs die Aufklärung, sondern die Schwärmerei in den Gemütern der Menschen. Ein solches Projekt, eine zeitgenössische Kulturkritik (Esoterik, Yoga, gutes Leben leicht gemacht, Philosophie in 5 Minuten etc.) mit Kantischen Methoden zu formulieren, verdient dabei höchste Anerkennung. Denn hierbei handelt es sich genau um dasjenige, was Kant im Sinn hatte, wenn er über die “Freiheit der Feder” schrieb: Kulturkritische Philosophen wie seinerzeit Rousseau oder Pestalozzi, die philosophisch fundierte Erziehungsromane oder wissenschaftliche Pädagogiken verfassten.

Bart Vandenabeele (Belgien): The Sublime Community

Vandenabeeles rhetorisch äußerst beeindruckendes Referat fragte nach dem Status des Gefühls des Erhabenen. Angesichts der Kritik von Lyotard und Parret, die hinter der Kommunizierbarkeit den Versuch kritisieren, dicke Gemeinschaftsbande zu deduzieren, ist das Erhabene ein Anstoß für die Kantrezeption in der politischen Philosophie geworden.
Derartige kulturelle Bande seien aber, so Vandenabeele, nicht Kants Argumentationsziel. Vielmehr gehe es Kant darum, zunächst dieses Gefühl seiner Möglichkeit zu erklären. Darüber hinaus bietet dieses Gefühl aber auch, soweit besteht Einstimmigkeit unter den Forschern, die Möglichkeit einer allgemeinen Kommunizierbarkeit. Diese deutet Vandenabeele als eine „sublime Community“ (eine erhabene Gemeinschaft oder eine Gemeinschaft im Erhabenen). Diese Gemeinschaft löst jedoch keineswegs die historische Kontingenz auf.
Diesem Referat wäre entgegen zu halten, dass Vandenabeele nicht den ontologischen Status dieser „Community“ erläutert.

Claudia Bickmann (Köln): Geist und Natur im Sinne Kants: "Vereint entgegengesetzte Kräfte"?

Bickmann hat versucht den Systemcharakter bei Kant zu rekonstruieren. Dabei hat sie das Bedürfnis der Vernunft, weiter zu spekulieren als es ihr möglich ist, indem sie in eine ontologische Erklärung gerät, dadurch flankieren wollen, dass sie entsprechende Stellen aus der dritten Kritik hinzunahm.
Ungeachtet des großartigen Projekts und Vortrags handelt es sich schlichtweg um einen logisch absolut illegitimen Vorgang. Kant erläutert die Erkenntnisweise in Form eines Systems als eine Denknotwendigkeit im Subjekt, die zwar für-uns eine harmonische Welt formt und formiert. Aber ob ihr etwa in der Welt entspricht, kann niemals über den Status des als-ob hinausgelangen.

Georgios Zigriadis (Passau): Reformulierung des Schematismusproblems: Reale Zwecke und Gottesfrage in der KdU

Zigriadis stellt die Frage nach der Möglichkeit, ob es einen Gottesbeweis bei Kant gebe. Diesen meint er in der dritten Kritik gefunden zu haben, indem er sie mit den entsprechenden Stellen aus der vorkritischen Phase, den entsprechenden Reflexionen und der ersten Vorrede zur „Kritik der Urteilskraft“ selbst anreichert. Demnach wäre nicht nur ein Postulat Gottes aufgrund des praktischen Vernunftglaubens an die eigene Freiheit, sondern ein echter Beweis ex contingentia mundi möglich. Denn die Zwecke in der Welt, die sich der reflektierenden Urteilskraft darbieten, sind real in der Welt nach Kant. Dadurch ist aber zu fragen, wodurch diese Zwecke in die Welt gekommen sind: Wessen Zwecke sind das? Hierauf gibt Zigriadis die Antwort: Gottes.
Abgesehen davon, dass Zigriadis profunde Kenntnisse der nur selten bekannten kleinsten Schriften und Notizen Kants und der Leibniz-Wolffschen Philosophie beweist, hat der Ansatz dieselben Mängel wie derjenige Bickmanns. Zigriadis übersieht, dass Kant auch die Zwecke in der Welt nur durch die reflektierende Urteilskraft erkennt. Eine Identität von regulativen und konstitutiven Prinzipien, wie er sie deutet, gibt es hierfür aber nicht, weshalb die Zwecke eben nicht empirisch real sind. Denn der transzendentale Idealismus lässt sich hier gerade nicht in einen empirischen Realismus überführen, da die reflektierende Urteilskraft gerade nicht auf der transzendentalen Anschauung der zeit und folglich dem Schematismus beruht, sondern auf der Symbolisierung als der anderen Hypotypose und einer logischen Subreption der Einbildungskraft. Damit ist sein Argument widerlegt; so schön ein Gottesbeweis wäre - es gibt ihn bei Kant nicht.

B. Schlussbemerkung zu Organisation, Rahmenprogramm und Bewertung

Die Veranstaltung zeugte davon, dass es der Türkei und ihrer Universität Mu—la im Besonderen wichtig ist, auf der internationalen Hochschulbühne als auf Augenhöhe anerkannt zu werden. Dabei sind die eigenen Mängel durchaus bewusst. Dennoch stellt das Symposium einen erfreulichen Beitrag dazu dar, dass wenigstens in den entwickelten Gebieten der Türkei ein äußerst produktives Klima für wissenschaftliches Arbeiten geschaffen werden kann. Ob dies allerdings für länger als für eine Woche genügen kann, bleibt fraglich bis zweifelhaft.

Das Rahmenprogramm mit einem Abendessen beim Rektor und beim Provinzgouverneur sind zwar herausragende Leistungen, entdecken im Umkehrschluss nur umso deutlicher, dass es sich hierbei um eine äußerst ungewöhnliche Leistung für die dortigen Verhältnisse handelt. Dabei ist allerdings der Nutzen eines solchen Rahmenprogramms für die Arbeit und die Argumentationsintensität auf einem Symposium nicht zu unterschätzen. Auch der Besuch der Ruinen der antiken Stadt Ephesos hat dies unterstrichen. Einerseits hebt es die Tradition und die Ambitionen hervor, zum Westen (als ein vergessenes Gründungsmitglied der abendländischen Philosophie) zu gehören. Andererseits wird dabei selbst vergessen, dass es sich um die Ruinen des römischen Ephesos handelt, die in erster Linie tourismusgerecht wiederhergestellt wurden. Ungeachtet dessen sind die gruppendynamischen Effekte einer solchen Exkursion als äußerst fruchtbar zu bezeichnen, da sich hierdurch das Diskussionsklima positiv verdichtet. So ist es möglich, sämtliche Tagungsteilnehmer einzubinden, was aufgrund der türkischen Gastfreundlichkeit und Offenheit auch außerhalb der Universitätsbediensteten oder fernab der Tourismusziele ohnehin als gelungen zu bezeichnen ist.

Insgesamt ist das Symposium als eine gute Leistung zu bewerten. Die Referate haben mir wichtige Einblicke in die verschiedensten Zweige der aktuellen Kantforschung gebracht und bei der thematischen Gewichtung meines Promotionsprojekts sehr geholfen. Die Kontakte, die ich vor Ort gewinnen konnte, stellen sich als äußerst viel versprechend dar. Eine Einladung für das internationale Philosophiesymposium in Mugla 2005 mit dem Arbeitstitel: Sozialphilosophie und Philosophie der Sozialwissenschaften“ hat den Erfolg für mich abgerundet.