„Religion und Philosophie im Widerspruch?“ wird auf der diesjährigen Tagung der Internationalen Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie provokant zur Debatte gestellt und zugleich versöhnlich mit einem Fragezeichen versehen. Ausgehend von der Exegese verschieden kulturell geprägter Philosophen und religiöser Gesprächspartner wird so die Eigenständigkeit des Denkens unabhängig von Offenbarungen oder anderen religiösen Gehalten rekonstruiert, aber auch die Bezogenheit des Denkens ausgewiesen. Dabei gerät die Philosophie im Rahmen der radikalisierten Aufklärung in eine Position, aus der sie sich nicht nur in ihrem Selbststand als Reflexion emanzipiert, sondern einen Alleinvertretungsanspruch in Bezug auf die Fragen der Transzendenz oder deren Entsprechungen reklamiert. Inwiefern diese Denkfiguren zu überzeugen fähig sind – auch nach ihren eigenen Maßstäben – wurde diskutiert.
Daneben kommt zudem die ergänzende Frage in den Blick, inwiefern es unter Gesichtspunkten der Systematisierung und Selbstkritik der Religionen eine allgemeine (natürliche oder negative) Theologie geben könne oder müsse, die nochmals von der Philosophie zu unterscheiden ist: Kann es so eine Theologie überhaupt geben, oder muss es sie sogar geben – und worin würde dann ihre Wissenschaftlichkeit jenseits von Philosophie, Natur- oder Sozialwissenschaft bestehen?
Die tagesaktuelle Relevanz der Thematik für den konkreten politischen Alltag schließlich noch zu benennen, erschiene als lächerlich, wohingegen umgekehrt die „Substantialität“ der interkulturellen Philosophie angesichts ihrer Ambivalenz als eines Modethemas herauszustellen anstünde.
Insgesamt trifft sich die Thematik direkt mit meinem Promotionsprojekt zu einer erkenntnistheoretischen und systematischen Grundlegung der Philosophie des Interkulturellen Dialogs. Dies hat sich bspw. in der Möglichkeit gezeigt, meine Arbeit mit dem renommierten Kantforscher Prof. Dr. Reinhard Brandt diskutieren zu können. Für den systematischen Charakter meiner Arbeit sind die Beiträge als anregend und instruktiv zu bewerten, die Prof. Dr. Ernst Tugendhat und Prof. Dr. Önay Sözer (Istanbul) gehalten haben.
B Tagungsbericht
(1) Tagung und Thema
Die Tagung der Internationalen Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie e.V. versammelte einschlägige Forscher aus allen Erdteilen, vielen religiösen Herkünften und Kulturen vom 13. bis 16. Juli 2006 in Köln. In den beiden Senatssälen der Albertus-Magnus-Universität wurde so nicht nur an die mittelalterliche Tradition des interreligiösen Dialogs zwischen islamischer und christlicher Aristotelesrezeption angeknüpft, sondern ein genuiner philosophischer Ansatz zu einem allgemeinen interkulturellen Dialog gesucht. Als Leitfrage diente in diesem Jahr die Provokation: „Philosophie und Religion im Widerspruch?“
(2) Inhalt
Eine Auswahl der von mir besuchten Referate wird an dieser Stelle inhaltlich nachskizziert und kommentiert. Die Gesamtheit der vierzig Vorträge kann aufgrund der gleichzeitigen Terminierung selbstverständlich nicht besucht worden sein, noch auch nur die besuchten Vorträge in ihrer Ganzheit nachgezeichnet werden. Dies leistet der Tagungsband, dessen Erscheinen für 2008 in der Reihe „Studien zur Interkulturellen Philosophie“ (SIP) geplant ist.
(2b) Darstellung ausgewählter Referate
· Ernst Tugendhat: Religion und Mystik
Religion bezieht sich ursprünglich auf Erfahrungen, die um die Bereiche des weiteren Lebens oder Überlebens, insbesondere des Lebens nach dem Tod, und des Realitätskonflikts zwischen Normen und tatsächlichen Verhalten angesiedelt sind. Die Widerspruchsfreiheit unter allen damit verbundenen Erfahrungen wird auf einer höheren Ebene gestiftet, die den systematischen Ort der Religion darstellt. Aber ist diese Herleitung der Religion aus einem Bedürfnis tatsächlich philosophisch hinreichend dafür, dass es so etwas wie eine transzendente Ordnung und eben nicht nur ein projiziertes Bild gibt?
Dieses ad hominem Argument ist so weit durchaus bekannt. Es wird durch folgenden Untersatz von Tugendhat jedoch drastisch verschärft. Anstelle der Unterscheidung zwischen Faktizität und Geltung unternimmt T. es nun nämlich, das Bedürfnis des Status’ einer neutralen Faktizität zu entkleiden und stattdessen selbst als normierend herauszustellen: Und insofern es einen solchen Psychologismus begründen könnte, wäre es kein neutraler Obersatz, sondern selbst ein Argument gegen die Existenz einer höheren Ordnung, die die Geltung der Religion auch begründen könnte. Das Bedürfnis nach Religion wäre gerade das Argument gegen dasjenige, worauf sie sich bezieht.
Dieses Bedürfnis nun wird näher qualifiziert durch die besondere Kontingenzerfahrung des endlich Seienden. Diese findet aber primär und lebensweltlich im Praktischen statt, woraufhin sie analog im Theoretischen nachgebildet wird. Der Ausbruch aus dem hier postulierten Mittel-Zweck-Denken ist der besondere Ort, den T. systematisch als „Mystik“ definiert. An ihm wird die Kontingenz durchbrochen und eine Ordnung jenseits davon erlebt. Damit wäre jedoch kein eigentliches deskriptives philosophisches Argument, sondern eben der Glaube als religionsanthropologisches Bedürfnis psychologisiert.
Die Einwände hiergegen sind nahe liegend: Ein Psychologismusvorwurf kann nicht systematisch in zwingender Weise entwickelt werden, sondern nur empirisch. Dementsprechend ist der Begriff der Mystik ebenfalls fraglich, da er bereits die bestimmte Bewusstseinsform der Mittel-Zweck-Praxis voraussetzt. Und ob sich Religion genealogisch aus dem Bedürfnis nach Ordnung – also aus der Dialektik von Chaos und Ordnung und nicht vielmehr umgekehrt herleitet – wird ebenfalls nur behauptet: Kann aber eben sowenig bewiesen werden, wie eine umgekehrte Herkunft des Glaubens als Bedürfnis. Es fragt sich nur, ob Glaube wirklich nur eine Reaktion auf ein Bedürfnis ist? Was T. jedoch gezeigt hat, besteht darin, dass das transzendentale Argument, dass der wahre Glaube auch eine wahre Ordnung beweise, für sich genommen nicht stichhaltig ist.
· Hans-Joachim Höhn: Dezentrierte Vernunft. Postsäkulare Konstellationen von Philosophie und Religion
In der jüngeren Forschung haben selbst säkulare Philosophen wie Jürgen Habermas die Religion wieder entdeckt. Und zwar als ein Reservoir semantischer Programme und Symbole, die für das Funktionieren einer Gesellschaft relevant sind. So wird mit der Religion umgegangen, als ob sie nur eine Vielzahl von Symbolen und Kurztiteln für moralische Verhaltensgrundsätze wäre. Religion wird hier auf eine Religion innerhalb der Grenzen moralischer Verwertbarkeit reduziert. Der Selbststand der Religion als Religion wird vernachlässigt. Dadurch ergibt sich allerdings nicht eine Widerlegung der Religion, denn hierzu müsste man sie als Religion ernst genommen haben, sondern eine Dezentrierung der Vernunft in ein säkulares und ein dem Glauben zugeordnetes Vermögen.
Dies lehnt Höhn mit seinem Ansatz einer Existentialpragmatik ab. Im Anschluss an Heideggers Existentialen vollzieht er eine Interpretation der Pragmatik, die sich an Apels transzendentalphilosophischer Integration orientiert. Das Geviert wird hierzu unter der Signatur der Endlichkeit und zwar insbesondere im Sinne der Ökophilosophie gelesen: Zukunftsungewissheit, Bedingtheit des Subjekts, Konkurrenz um Ressourcen und Erschöpfbarkeit derselben sind die Eckpunkte zu einer neuen Koordinierung der Vernunft. Dadurch ergibt sich die Vernunft nicht als ein bloßer Verstand der jeweiligen Einzelaspekte, sondern als eine Vernunft zum Leben im doppelten Sinne: deskriptiv auf das Leben bezogen und zugleich normativ das Leben in seiner so skizzierten Ganzheit bejahend.
Leider wird dabei nicht auch deutlich, wie die Vernunft tatsächlich die Philosophie und Religion koordinieren können soll. Es muss zuerst postuliert werden, dass sie das Tertium sei, in dem alles Menschliche zusammenstimmt. Dieses Axiom wird durch die Existentialpragmatik argumentativ eingelöst. Allerdings bleibt hierbei unklar, wie die Vernunft außer durch ein entsprechendes Verständnis von Vernunft das alles auch leisten können soll. Und ein solches Verständnis von Vernunft erscheint gerade als zirkulär, da sie nicht anders denn als dieses Tertium charakterisiert ist. Genau hier wäre die Leistung des Philosophen aber gefragt gewesen, jenes Wesen der Vernunft zu entdecken.
· Reinhard Brandt: Deus in nobis est
Aus der Herkunft von Shaftesbury und Spalting hat Kant die wesentlichen Elemente seiner „Kritik der praktischen Vernunft“ gefunden. Dabei übernimmt er die Transformation der drei christlichen Tugenden des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung in die neue Reihenfolge von Liebe oder Moral, dann der inneren Logik der Moral folgend der Glaube an Gott und schließlich die Hoffnung auf Unsterblichkeit (mit der angemessenen Proportion von Glück und Moralität). Dies ist das bekannte Postulat von der Existenz Gottes, allerdings eines deus philosophorum moralis.
Aber Kant kennt auch einen anderen Gottesbegriff. Nämlich denjenigen eines deus philosophorum speculativus, der für die menschliche Vernunft weder positiv noch negativ erkennbar ist. Doch selbst damit ist noch nicht alles gesagt. Denn bei Kant gibt es neben diesen beiden Formen noch einen dritten Aspekt in der philosophischen Gotteslehre, und zwar den deus in nobis, den Gott für uns. Dies ist ein sorgender Gott, der zugleich das Bessere im Menschen ist und an den sich die Forderung der Moralität anlehnt. Er ist zugleich aber darüber hinaus ein transzendentes Göttliches, dass jeder Mensch zu denken genötigt ist. Dieses Denken ist weder ein Wissen, noch ein Glauben im Sinne des praktischen Vernunftglaubens, sondern eine Lebenshaltung sui generis.
Soweit ist Brandt zuzustimmen. Nur leider übernimmt er es nicht auch noch, diese Erkenntnishaltung transzendentalphilosophisch und somit genuin Kantisch zurückzuverorten. Hierauf müsste sich eine Diskussion des Kantischen Symbolbegriffs anschließen, die dann die positive Dimension eröffnen könnte, wie es in der Wirklichkeit so divergierende Vorstellungen dieses Gottes für uns geben könne.
· Edith Düsing: Grundprobleme des Nihilismus von Jacobis Fichte-Kritik bis Heideggers Nietzsche-Rezeption
Jacobi hatte Fichte vorgeworfen, aller Idealismus würde letztlich zum Atheismus führen, da man Gott durch ein gedankendingliches Konstrukt ersetzen würde. Nietzsche unternimmt den nächsten Schritt in diesem logischen Schluss, der zugleich mit der Metaphysik insgesamt Schluss macht: Atheismus führt notwendig zum Nihilismus. Wenn es keinen Gott mehr gibt, dann gibt es letztlich gar nichts mehr, was über etwas anderem so stünde, dass es mehr ist als eine kurze Episode in der Kontingenz. Nietzsche, in seiner Herkunft als Kantianer gelesen, spielt eine Unzahl von Varianten durch, wie der Tod Gottes nicht zum Nihilismus führen könnte – und diagnostiziert stets, dass es danach keinen Sinn mehr geben könne, außer kurzen Explosionen des schaffenden, relativ übermenschlichen Willens.
Heidegger führt dies später in seinen Nietzsche-Interpretationen so zusammen, dass es nur relative Unendlichkeiten gäbe, wie sie das Gedankenexperiment von der ewigen Wiederkehr darstellen könnte. Die Gottlosigkeit wird so zum moralischen Epikureismus: Mach das, was du immer wieder machen wollen kannst (denn du musst es stets wiederholen) und können willst (denn du kannst wollen). Diese Parusie des Seins wäre dann aber der existentialistisch schärfste Nihilismus, da hierdurch das Sein zu einem ungöttlichen Gott, nämlich einem unwiderstehlichen Alles würde, das aber keine Gnade kennen kann: Es ist allmächtig – und nach der Allgüte kann ein `es´ gar nicht gefragt werden.
In der Diskussion wurde insbesondere das Verständnis Gottes bei Heidegger angezweifelt, daneben das Gottesverständnis von Nietzsche hinterfragt. Die Forschungen zu Nietzsche als Denker der physikalischen Natur (und nicht nur als Biologisten) wurden jedoch nicht berücksichtigt, so dass gewisse Gedankenexperimente vielleicht zu sehr theozentrisch gedeutet wurden. Eine Metafrage nach dem Sinn von Modalitäten und dergleichen wurde insgesamt vermieden, so dass es diesem Vortrag (wie den meisten) an kritischen Bemerkungen zu den vorgestellten Positionen mangelte. Zudem wurden viel zu viele Positionen dargestellt, ohne dass der jeweilige Bezug den Hörern direkt aufgehen konnte.
· Elmar Hohenstein: Wie man als europäischer Philosoph auf die Welt kommen kann. Eine Einführung in den Philosophie-Atlas
Die wenigen geographischen Karten, die es zur Geschichte der so genannte „europäischen Philosophie“ gibt, veranschaulichen augenfällig die isolationistische Schlagseite der vorherrschenden Philosophiegeschichtsschreibung. Europa konstruiert seine Identität durch die doppelte Bezugnahme auf das antike Griechentum und das christliche Erbe. Dabei gab es jedoch keineswegs dasjenige, was man Philosophie nennen könnte, bei allen griechischen Denkern (wäre Heraklit 200km südlicher geboren, wäre er niemals als Philosoph akzeptiert worden), noch wäre alles, was es in der Philosophie gab, durch das ausschließende Kriterium der Christianisierung zureichend begriffen. Die wechselseitigen Einflüsse des interreligiösen und interkulturellen Dialogs blieben so völlig unnachvollziehbar.
Es geht bei diesem Anliegen also darum, ein an der kontextdependenten Raumdimension orientiertes Verständnis der Philosophie zu gewinnen, das dann umgekehrt auch wieder helfen kann, Denker als Philosophen oder eben bspw. als Religionsstifter oder Theologen zu würdigen. Der Atlas ist dabei dasjenige Paradigma, was die Vollständigkeit aussagt.
Hohenstein hört allerdings dort auf, wo die Frage virulent würde: Was kommt als nächstes? Kann man einen `Atlas´ rein deskriptiv entwerfen ohne auch Prognose-Forderungen einzufordern? Oder genügt es umgekehrt, für den interkulturellen Dialog auf Zusammenhänge in der Vergangenheit zu rekurrieren? Offenbar ist hier ein Forschungsprojekt entworfen, das ein Verstehen erleichtern kann, indem es Zusammenhänge und Herkünfte (und somit: bewusste Abgrenzungen) aufzeigt. Es müsste dann aber in ein umfassenderes Programm eingebunden werden können, das die Philosophie- bzw. Geistesgeschichte für den Dialog fruchtbar zu machen erklären könnte.
· Eigenes Referat: Was ist `Globale Aufklärung´? Versuch einer systematischen Kriteriologie der Philosophie des interkulturellen Dialogs
Nachdem ein Referent ausgefallen ist, habe ich kurzfristig ein Referat beigesteuert, das nach Wunsch der Veranstalterin den ansonsten verwaisten Bereich einer „philosophischen Systematik“ des interkulturellen Dialogs gefüllt hat. Dabei habe ich das Eingangskapitel meiner Dissertation vorgestellt, das die Anforderungen an eine jede Philosophie unter interkulturellen (und interreligiösen) Aspekten prinzipiell koordiniert. Mein Forschungsprogramm ermöglicht unter dem besonderen Aspekt einer Nichtüberbeanspruchung anderer kultürlicher Wesen (Einzelpersonen oder Kollektive beliebiger Größe oder raumzeitlicher Verortung) eine Vergleichbarkeit und Kritik jeder artikulierten Position in Philosophie oder Religion bis in die Mystik hinein und hält die Anknüpfung für eine empirische Feldforschung und eine konkrete politische Praxis bereit. Dies ist der Aspekt der Philosophiegeschichte, die Religionen oder die Kulturen aufgreifen und in einen Dialog bringen könnte. Hierzu wurden vor allem die Begriffe `Dialog´ und `interkulturell´ zu klären versucht.
(3) Resümee
Es ist der Tagung gelungen, Vertreter aller Erdteile und Religionssphären zusammenzubringen. Die vorgebrachte Kritik eines Teilnehmers muss jedoch auch als gerechtfertigt angesehen werden: Die Vertreter waren außer für den Hinduismus, Buddhismus, Islam und natürlich das Christentum keine Mitglieder der jeweiligen Kultur- oder Religionsgemeinschaft, sondern europäische Forscher.
Dennoch bleibt insgesamt ein äußerst positiver Eindruck festzuhalten. Die Organisation war ein rundes Ganzes – und das unabhängig vom parmenidischen Abendland für alle Teilnehmer. Neben den Veranstaltungen des Rottendorf-Projekts ist mir keine so gelungene und ausgeglichene Tagung zum interkulturellen Dialog bekannt. Wenn man den spezifischen Ansatzpunkt einer philosophischen Grundlagendiskussion sogar besonders gewichtet, steht die Veranstaltung der Gesellschaft für Interkulturelle Philosophie einsam an der Spitze der gegenwärtigen Bemühungen, eine breite Forschungslandschaft auf ein so diffiziles Problemfeld auszurichten.