III. Inter-university Workshop on Mind, Art and Morality

III. Inter-university Workshop on Mind, Art and Morality, March 4th-6th 2004, Madrid, Spain. Invited Speaker: Christine M. Korsgaard (Harvard University, USA); Tagungsbericht von Maria Schwartz

Der Workshop wurde von der Grupo de Filosofia de la Universidad Carlos III veranstaltet, einem philosophischen Graduiertenkolleg. Insgesamt (Studenten und Professoren des Kollegs, Referenten, Gäste) nahmen etwa 20-30 Leute teil, ein idealer Rahmen für intensive Diskussionen. Es wurden 11 papers von ca. 30 Minuten Länge präsentiert, dann reagierte zunächst Christine M. Korsgaard (im folgenden CMK) darauf, bevor die Diskussion für weitere 50 Minuten geöffnet wurde.

Donnerstag, 04.03.2004

  1. Den Beginn machte CMK selbst mit „Acting for a reason“, einem bisher unveröffentlichten Vortrag, in dem sie Williams’ und Raz’ Theorie praktischer Gründe gegenüber stellt und als Lösung der in beiden Theorien entstehenden Aporien ihren aus den Locke Lectures („Self Constitution: Action, Identity and Integrity“) bekannten Entwurf präsentiert. Interessant waren außer einer Reihe neuer Gesichtspunkte (z.B. Bemerkungen zu act-types wie Mord, Ehebruch, Diebstahl, die bereits normativ aufgeladen sind) auch kritische Anmerkungen zu früher vertretenen Positionen. Ihre These: Es gibt für den rational Handelnden keine Alternative zum Handeln nach Prinzipien. Er wählt Handlungen unter einer bestimmten Handlungsbeschreibung, einem subjektiven Prinzip (Maxime oder logos). Dabei enthält die Maxime bereits den Grund, d.h. die Frage: „Warum hat er X getan?“ kann mit einer vollständigen Handlungsbeschreibung beantwortet werden („Was hat er getan?“). Weder gut-machende Eigenschaften von Handlungen (Raz) noch mentale Zustände (Williams) für sich sind Gründe. Vielmehr ist bei handlungstheoretischen Überlegungen auf Kant und Aristoteles zurückzugreifen. Sie haben nach CMK das gleiche Verständnis von Gründen sowie von der Beziehung zwischen Inhalt und Bewertung von Handlungen.

  2. Ana Marta González (Navarra) stellte in ihrem paper einen kontroversen Ansatz vor und machte darauf aufmerksam, dass Aristoteles und Kant in „verschiedenen Welten“ leben, angefangen bei der unterschiedlichen Konzeption praktischer Vernunft.
    Bei Aristoteles wäre kein Platz für ein Universalisierungsverfahren, da dieses in der konkreten Situation kaum von Nutzen ist. Prinzipien befinden sich vielmehr im „phronimos“, der in der einzelnen Situation richtig handelt. Es geht nicht allein um „die richtige Handlung“, die in einer Maxime ausgedrückt werden kann, sondern um die Art und Weise zu handeln, die nur durch Tugend gewährleistet wird. Eine Theorie des Guten fehlt bei Kant, er brächte nur eine Theorie des Erlaubten. CMK antwortete mit der Unterscheidung generell – universal. Generelle Prinzipien sind in der Ethik nicht interessant, universale Prinzipien dagegen würde auch Aristoteles befürworten. Aristoteles hätte ansonsten ein anderes Anliegen als Kant, er ist nicht an einer Grundlegung der Ethik interessiert.

  3. Im folgenden paper versuchte Josep Corbi (Valencia), eine Position des substantiellen moralischen Realismus mit einer analytischen Argumentation zu verteidigen. Er kennzeichnete CMKs Position als Projektivismus, was sie jedoch in der anschließenden Diskussion von sich wies. Sie machte darauf aufmerksam, dass ihr Startpunkt die Perspektive des Handelnden, die Perspektive der ersten Person wäre, und Corbi von der Perspektive der dritten Person aus argumentiere. CMK vertritt einen Konstruktivismus in Bezug auf beide Perspektiven.

  4. Am Nachmittag des ersten Tages stellten Maria Álvarez und Aaron Ridley (Southampton) Anscombe und CMK gegenüber. Sie rekonstruierten Anscombes Kritik des Pflichtbegriffs sowie die Kritik CMKs daran und versuchten dann zu zeigen, dass CMK selbst in ein unausweichliches Dilemma gerät. Sie antwortete darauf, indem sie eine der Rekonstruktionen zurückwies. In der Diskussion kamen Fragen zur Divine-Law-Theorie auf, zu Heteronomie und Autonomie.

  5. Den Abschluss bildete ein Vortrag von Montserrat Bordes (Barcelona), „Kantian Ethics, Emotion and Moral Success“, der eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Rolle der Emotion bei Kant brachte und die Ergänzungsbedürftigkeit einer kantischen Ethiktheorie durch z.B. Aristoteles unterstrich.
    CMK bestätigte dies im Wesentlichen und machte darauf aufmerksam, dass bei Aristoteles die Emotion Wahrnehmungsfunktion hat. Sie ist Wahrnehmung eines Grundes zum Handeln. Die weitere Diskussion drehte sich dann um Fragen der Fehlwahrnehmung und der Verantwortung für die Angemessenheit der eigenen Emotionen.

Freitag, 05.03.2004

An diesem Tag wurden wiederum fünf Referate gehalten.

  1. Im ersten verglich Kenneth Baynes (Syracuse, NY) Habermas mit Korsgaard und machte auf die Rolle des Diskurses mit anderen Menschen in Bezug auf Normativität und Verantwortung aufmerksam. Mit Bezug auf Strawson und Brandom vertrat Baynes die These, dass die soziale Praxis primär ist. Ob jemand verantwortlich ist, hängt daran, ob er für verantwortlich gehalten wird. Aus Gründen handeln heißt, Anderen Antwort geben zu können.
    CMK betonte, dass bereits im Selbst eine dialogische Struktur vorhanden ist, zu zeigen z.B. am Phänomen der Erinnerung. Denken heißt, mit sich selbst zu reden (Platon). Die Diskussion beschäftigte sich außer mit diesem Punkt auch mit dem Unterschied zwischen idealer Diskursgemeinschaft und faktischer sozialer Praxis.

     

    Die nächsten beiden papers behandelten das sog. „Wittgensteinargument“ in CMKs „Sources of Normativity“ (Kapitel 4). CMK zeigt dort unter Bezugnahme auf das Privatsprachenargument Wittgensteins, dass kein Übergang von privaten zu öffentlichen Gründen nötig ist, da Gründe von vornherein öffentlich sind.

  2. Veronica R. Blanco (Birmingham) wand dagegen ein, dass mit CMKs Modell zwar intrapersonale Konflikte zu lösen sind, nicht aber „genuin“ interpersonale, in denen die Einnahme des Standpunkts des anderen fehlschlägt. Bereits die Forderung eines solchen Tausches der Standpunkte setzt das Vorhandensein privater Gründe voraus.
    CMK antwortete mit dem Hinweis, dass Gründe zwar öffentlich sind, man aber nicht zu allen Gründen den gleichen Abstand einnimmt. Die Funktion von Gründen wäre, Einheit zu stiften (mit sich selbst oder mit anderen Menschen), die daher nicht von vornherein gegeben ist. Wir suchen nach Gründen, die uns vereinen.

  3. Mary Coleman (Bard College, NY), eine ehemalige Studentin von CMK, analysierte in ihrem Referat das Argument CMKs und unterteilte es in drei Stufen. Sie wies eine Reihe von in jüngster Zeit daran geäußerter Kritik als unbegründet zurück, äußerte dann aber eigene Kritik. CMK würde in ähnliche Probleme geraten wie Alan Gewirth, dessen Konstruktivismus im Fall des praktischen Solipsisten versagt. Letztlich ruhen beide Theorien auf unbegründeten Intuitionen. CMK verwies wie schon bei Baynes auf die innere Struktur des Selbsts und seine Kontinuität in der Zeit. Auch der praktische Solipsist kann keine rein privaten Gründe haben, da dies seine innere Einheit gefährdet. Die Diskussion drehte sich dann darum, ob die Einheit rein zeitlich zu verstehen ist (ob Gott dann z.B. nicht handelt), was CMK verneinte und um Unterschiede im Ansatz Rawls - Korsgaard, die bereits bei der Problemstellung beginnen.

  4. Am Nachmittag stellte Markus Schlosser (St. Andrews) CMKs Begriff der Selbstkonstitution in Frage und untersuchte die Relation von Handlung und Handelndem. Er stellte Unterschiede zwischen CMKs „Sources of Normativity“ (1996) und „Self-Constitution“ (2002) fest, insbesondere in der Frage, ob Handlungen einem vorhergehenden Selbst entspringen oder nicht. Er versuchte dann zu zeigen, dass in beiden Konzeptionen das Problem der Selbst-Bestimmung nicht befriedigend gelöst wird. CMK machte darauf aufmerksam, dass eventuelle Unterschiede in den beiden Werken von unterschiedlichen Anliegen herrühren, es sich aber um eine einheitliche Position handelt. Sie verwies auf Kants Position, dass die oberste Maxime nicht in der Zeit angenommen wird, man daher nicht von „vorher/nachher“ des Selbst sprechen könne. Weiterhin verwies sie auf die Prozesshaftigkeit des Lebens und auf Selbstsein als Aktivität (Aristoteles).
    Carlos Thiebaut bestätigte die These eines nicht-temporal „vorhergehenden“ Selbstes, die weitere Diskussion beschäftigte sich mit diesem Punkt und nahm dabei Bezug auf Kants „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.

  5. Mein eigenes, darauf folgendes paper behandelte CMKs Konzeption der praktischen Identität und den Bezug zum Pflichtbegriff. Dabei versuchte ich, den Unterschied zwischen kontingenten praktischen Identitäten, die gesellschaftlich konstituiert werden (z.B. Lehrer, Soldat, Vater sein) und der Ebene der Basisidentität als Mitglied im Reich der Zwecke darzustellen. Auf erster Ebene entstehen neutrale Pflichten, es handelt sich um wechselseitige Verpflichtung und Konstruktion von Identitäten. Hier taucht das Problem der Manipulation auf, sowie der Annahme unmoralischer Identitäten. Auf zweiter Ebene entspringen unkonditionale, moralische Pflichten (d.h. eigentlich „Pflicht“ im kantischen Sinne) einer noumenalen Natur des Menschen. Hier stellt sich die Frage nach dem Status des Reiches der Zwecke.
    CMK stimmte im Wesentlichen mit der Darstellung überein und wies darauf hin, dass die erwähnten Probleme mit kontingenten Identitäten weniger theoretischer Art als „Probleme des menschlichen Lebens“ seien. Die weitere Diskussion konzentrierte sich neben Fragen zur Priorität der Basisidentität auf Fragen der Kant-Exegese zum Faktum der Vernunft, den beiden Standpunkten, zum Maximenbegriff, zur Rolle der Urteilskraft und des sensus communis.

Samstag, 06.03.2004

Die beiden letzten Referenten sprachen ebenfalls über Selbstkonstitution und Identität.

  1. David Dick (Michigan University) bezog sich vor allem auf den Artikel CMKs „Self-Constitution in the Ethics of Plato and Kant“. Sie parallelisiert dort Platons Konzeption der Gerechtigkeit mit dem kategorischen Imperativ als einheitsstiftende Prinzipien der Seele.
    Dick stellte den Zusammenhang von Selbstkonstitution und moralisch gutem Handeln in Frage. CMK hat dem Skeptiker („Konsistente Charaktere langweilen mich.“) nichts entgegen zu setzen. Um Handelnder zu sein genüge es, wenn irgendein Prinzip das Handeln bestimmt, d.h. am Beispiel Platons irgendeine der fünf Verfassungen der Seele gewählt wird. Platon kann die Verfassungen bewerten, weil er von einem substantiellen Begriff der Gerechtigkeit und des Guten ausgeht. Mit einer rein prozeduralen Konzeption wie sie CMK vertritt, ist dies nicht zu leisten.

    CMK antwortete darauf, dass prozedurale und substantielle Gerechtigkeit eng zusammen hängen. Man könne immer weiter zurück fragen, am Ende der Skala stünde die Idee der perfekten Prozedur, die wiederum als substantiell gerecht bezeichnet werden kann. Die weitere Diskussion behandelte die Frage, ob ein „zwingendes“ Argument gegen den moralischen Skeptiker möglich / wünschenswert ist und die Frage, ob es den „tugendhaften Tyrannen“ gibt (ethische Neutralität des Tugendbegriffs).

  2. In seinem Referat „Wantons, Tyrants, and the Unity of Persons“ machte Patrick Delaere (Rotterdam) mit einem empirischen Ansatz auf Aspekte aus der psychologischen Praxis aufmerksam, die für CMKs Theorie relevant sind. So zeigte er anhand Beispielen, dass der „wanton“ (Mutwillige; Bsp. von H. Frankfurt) einem vom ADHD-Syndrom Betroffenen entspricht und verwies auf den Tyrannen Platons als psychotischen Menschen. Delaere kennzeichnete CMKs Position als zu optimistisch im Hinblick auf die menschliche Fähigkeit, sich durch Vernunft selbst zur Einheit zu bringen. Sinnvoll wäre, CMKs Position auch im Hinblick auf Konflikte zwischen Identitäten mit einem narrativen Ansatz der Selbstkonstitution (M. Schechtman) zu ergänzen.

    CMK antwortete mit der Unterscheidung von Einheits-Forderung einerseits und dem faktischen Gelingen / Misslingen der Einheit andererseits. Im Falle der ADHD Erkrankung verhindert der Körper das Projekt der Einheitsstiftung. Bei Konflikten zwischen verschiedenen kontingenten Identitäten handelt es sich nicht um moralische Konflikte. Schechtmans Ansatz betrifft die Problematik, die bei Kant im Zusammenhang mit dem Prinzip der Klugheit auftaucht.
    Die weitere Diskussion behandelte diesen Punkt sowie den Unterschied zwischen frei gewählten / gebilligten Verhaltensweisen und pathologischen Fällen.

  3. Den Abschluss bildete der Vortrag „Fellow Creatures“ von Christine Korsgaard über kantische Ethik und Pflichten gegenüber Tieren, der in Kürze im Rahmen der „Tanner Lectures on Human Values“ erscheinen wird.
    Die Diskussion beschäftigte sich mit der Reichweite der Verpflichtung gegenüber Tieren, dem Bezug zum Menschen und nochmals mit dem Ursprung von Werten allgemein.

Damit endete der Workshop, der insgesamt eine gründliche und erhellende Behandlung der Theorie Korsgaards bot. Es wurden sowohl Chancen und Grenzen der Theorie als auch CMKs Relation zu Kant, Aristoteles und Platon deutlich. Dies wurde einerseits ermöglicht durch die Zusammenstellung der papers, die thematisch sehr gut aneinander anknüpften, andererseits aber vor allem durch die Diskussionsmöglichkeit mit Christine Korsgaard selbst.


Ich danke Josep Corbi, Marta Moreno, Kenneth Baynes und David Dick für erhellende Diskussionen im Umfeld des Workshops sowie Andreas Trampota SJ und Michael Trice für Diskussion und wichtige Hinweise zum paper im Vorfeld.