Auf der dritten „European Summer Academy of Bioethics“ im Heinrich-Pesch-Haus in Ludwigshafen trafen sich vom 22.8.2004-03.09.2004 26 Studierende aus 11 verschiedenen Ländern (darunter USA, Japan, Litauen, Türkei), um unter Leitung von Bildungsreferent Ulrich Dreismickenbecker über „Bioethik“ in den Diskurs zu treten. Die Seminarsprache war Englisch. Eine Medizinstudentin aus Köln tat schon am ersten Abend ihre Erwartungshaltung kund: mit „I want answers “ formulierte sie zwar ein ehrgeiziges Ziel, aber sicherlich kein „bioethisches Postulat“. Mit Antworten – und dies mussten alle Teilnehmer feststellen – verließ niemand Ludwigshafen. Aber sicherlich mit differenzierter Information und interessanten Betrachtungen, die umfassendere Urteile in bioethischen Fragen ermöglichten.
Die erste Woche stand unter dem Zeichen der Philosophie. Internationale Dozenten hielten Vorlesungen zu den Thesen bekannter Denker, die sich als relevant für die bioethische Diskussion erweisen könnten. Andreas Hütig M.A. der Universität Mainz referierte über Kant, wobei von bioethischer Relevanz das Axiom Der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst ist. In Verbindung mit der 2. Formel des kategorischen Imperativs (Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest) ergibt dies, dass nach Kant Menschen zwar als Mittel benutzt werden dürfen, niemals aber bloß als Mittel, sondern immer zugleich als Zweck. Derjenige, mit dem oder durch den ich etwas tun möchte, muss immer in mein Handeln vernünftigerweise einstimmen können. Kant bezieht seine Aussagen des Zweckes an sich immer auf den vernunftbegabten Menschen. Menschheit bedeutet die Fähigkeit zum moralischen Handeln und der Zuspruch der Menschenwürde. Menschenwürde kommt prinzipiell jedem menschlichen Wesen faktisch zu, egal ob das Wesen gerade aktual (moralisch handelt) oder nicht.
Prof. Holger Buckhart aus Köln referierte den Verantwortungsbegriff von Hans Jonas. Die neue Idee der Verantwortung beinhaltet eine dreistellige Relation. Das Subjekt und mit ihm das ganze Diskursuniversum trägt Verantwortung für das Objekt (Prinzip Mitverantwortung). Der Mensch kann Verantwortung übernehmen aufgrund seiner Freiheit, er trägt Verantwortung, weil er kann.
Herausragend war des Weiteren das Referat von Prof. Dr. Geoffrey Scarre aus Durham/Englabd über Peter Singers Präferenzutilitarismus. Schon am Begriff des Präferenzutilitarismus ist abzulesen, anhand welchem Kriterium sich die Frage nach Lebensrecht beantwortet: Lebensrecht hat das Wesen, das Präferenzen, d.h. Interessen (immer und überall bei allen Lebewesen: ein Interesse an Freisein von Schmerzen) hat. Interessen sind gegeneinander abzuwägen; dabei spielt es keine Rolle, wer oder was diese Interessen hat. Somit wird ein Prinzip der Gleichheit geschaffen, das Prinzip der gleichen Interessensabwägung. Singer benutzt dieses Prinzip gegen die von ihm so bezeichneten rassistischen, sexistischen oder speziezistischen Komponenten der bisherigen ethischen Versuche, die die Menschenwürde z.B. festmachen an der Zugehörigkeit zur Spezies Mensch (vgl. Speziesargument). Menschen und Völker sind nicht gleich, nur in den Interessen besteht Gleichheit, Einstimmigkeit: „Interesse ist Interesse, wessen Interesse es auch immer sein mag.“
Darüber hinaus wurden die Theorien folgender Philosophen behandelt: Emmanuel Levinas, Thomas von Aquin und Michel Foucault.
In der zweiten Woche der Summer Academy wurden Naturwissenschaft und Forschung im Bereich Medizin fokussiert. In Workshops beschäftigte man sich mit Humangenetik, Genomforschung, Xenotransplantation, Gentherapie und Stammzellenforschung und dem Niederschlag der bioethischen Diskussion um nationalen und internationalen Recht. Das methodische Arbeiten in kleinen Gruppen war äußerst effektiv und lehrreich. Zahlreiche und sehr gut organisierte Exkursionen führten nach Straßburg, um dort das Council of Europe und den European Court of Human Rights zu besuchen, nach Karlsruhe, um das dortige Forschungszentrum zu besichtigen, nach Mainz in die Ethik-Kommission des Justizministeriums Rheinland-Pfalz und zum kulturellen Spaß nach Speyer, Heidelberg und Maulbronn.
Dennoch wurden durch diese Vorgehensweise methodisch die beiden relevanten Disziplinen „bios“ = medizinische Forschung und „ethos“ = Philosophie und Ethik getrennt voneinander bearbeitet. Die Thesen oder die ethischen „Lösungsvorschläge“ der Philosophen, die sich nie konkret auf die Problemstellungen der Bioethik bezogen, während des Seminars zu deuten oder umzuformulieren, um auf Themen wie Euthanasie, Embryonentötung für Forschungszwecke oder schlicht Abtreibung zu antworten, wurde aufgrund des dichten Programms etwas vernachlässigt. Es war den Teilnehmern schwer möglich zu erreichen, was V.R. Potter in seiner Definition für Bioethik vorschlug: If there are „two cultures” that seem unable to speak to each other – science and the humanities – and if there is part of the reason that the future seems in doubt, then possibly, we might build a “bridge to the future” by building the discipline of Bioethics as a bridge between the two cultures”.
Dennoch möchte ich die European Summer Academy of Bioethics als sehr gelungen würdigen. Der Diskurs mit internationalen Studenten und Dozenten war sehr bereichernd. Das Programm war sehr umfangreich und inhaltsschwer, auch die Möglichkeit zur Vorbereitung war über Internet im Voraus und vor Ort anhand zahlreicher Skripten mehr als gut bewerkstelligt. Die Teilnehmer fanden ein hohes Diskussionsniveau, das auch durch die Sprache nicht beeinträchtigt wurde. Die Gespräche mit den Dozenten wurden oft bis tief in die Nacht fortgesetzt. Es herrschte eine Atmosphäre, die sich einerseits durch wissenschaftliches Niveau und andererseits durch ausgesprochene Herzlichkeit auszeichnete.