Der enorme Erfolg der Naturwissenschaften seit dem 19. und vor allem dem 20. Jahrhundert führte dazu, dass man vor allem in der gesellschaftlichen Diskussion glaubte, dass alles Wesentliche in der Welt naturwissenschaftlich erfasst werden könne. Umgekehrt wird dasjenige, was sich einer naturwissenschaftlichen Analyse entzieht, als etwas Unwesentliches oder als Erscheinung charakterisiert, die nicht nur von naturwissenschaftlich erfassten Strukturen abhängt, sondern vollständig darauf zurückgeführt werden kann.
Insofern auch der Mensch als Teil dieser Natur gesehen wird, erscheinen Dimensionen des Mensch- und Personseins wie Bewusstsein und Geist in diesem Licht nur noch als kausales Produkt der zugrundeliegenden materiellen Konstellationen. Diese reduktionistische Sichtweise stellt nicht nur wesentliche anthropologische Grundmerkmale des humanistischen Menschenbildes infrage, sie betrifft auch ganz wesentlich den möglichen religiösen Interpretationshorizont des Menschen.
Religiosität wird in dieser Perspektive demnach als Zeichen einer Rückständigkeit angesehen, die sich z. B. darin äußere, dass religiöse Menschen noch nicht eingesehen hätten, dass die religiösen Inhalte längst von den empirischen Wissenschaften als überflüssig und sinnlos erwiesen worden seien. Allerdings ist die behauptete Zurückführung der lebensweltlichen Strukturen auf rein physische Strukturen kein direktes Resultat der Naturwissenschaften, sondern stellt selbst eine über die wissenschaftlichen Ergebnisse hinausgehende Interpretation dar.
Dies lässt sich am deutlichsten anhand von wissenschaftsphilosophischen Überlegungen zu den methodischen Voraussetzungen der Naturwissenschaften zeigen, denn diese garantieren einerseits den großen Erfolg der Naturwissenschaften, begrenzen andererseits aber aus methodischen Gründen die Reichweite der naturwissenschaftlichen Erkenntnis.
Ziel des Forschungsprojekts ist es, die methodischen und somit die prinzipiellen Grenzen des naturwissenschaftlichen Ansatzes und die daraus resultierende Verengung des Wirklichkeitsbegriffs herauszuarbeiten und daran anschließend einen Rahmen für einen erweiterten Subjekt- und Wirklichkeitsbegriff zu schaffen, der es ermöglicht, sowohl die naturwissenschaftliche Perspektive als sinnvolle, zweckgerichtete Thematisierung der Natur auszuweisen als auch der Notwendigkeit nachzukommen, wesentliche, aber von den Naturwissenschaften methodisch ausgeklammerte Aspekte der Wirklichkeit für eine Deutung von Welt und Mensch miteinzubeziehen und sie für eine mögliche religionsphilosophische Perspektive zu öffnen.
Projektleitung: Dr. Tobias Müller (in Kooperation mit Prof. Dr. Stefan Bauberger und Prof. Dr. Harald Lesch).
Das Projekt wird von der NoMaNi-Stiftung von 2015 bis 2020 finanziert.