„Denken ist wie Schwimmen im Meer – und zwar ohne Schwimmweste“

Gerda Marie Adenau ist als Global Communication Manager bei Siemens tätig und erfolgreiche Corporate Influencerin. Sie schreibt und spricht über Themen, die sie in ihrer Berufswelt, aber auch ganz persönlich bewegen: Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, Ethik im Unternehmen, Frauen 50plus. Darüber hinaus ist sie als selbstständige Speakerin und in der philosophischen Beratung aktiv. Von 2017–2022 studierte Gerda-Marie Adenau an der Hochschule für Philosophie im berufsbegleitenden Studiengang „Wirtschaftethik“. 2019 war sie mit einem ERASMUS-Stipendium an der Ignatianum Universität in Krakau. Für ihre Masterarbeit forschte sie aus philosophischer Perspektive über organisationale Resilienz. Welche Rolle die Philosophie und ihr Studium an der HFPH für ihre berufliche und persönliche Entwicklung spielte, hat sie uns im Interview verraten:

Frau Adenau, wir erinnern uns noch sehr gut an die ersten Zeilen Ihres Motivationsschreibens: „Die Kinder aus dem Haus, den Job im Griff. Zeit, einen Gang zurückzuschalten. Oder ein Ethikstudium zu beginnen.“ Damals waren Sie Mitte 50. Erzählen Sie uns doch ein wenig mehr darüber, was Sie dazu bewogen hat, neben Ihrer Vollzeittätigkeit Philosophie zu studieren.

Zum einen hatte ich sehr persönliche Gründe: Ich hatte mein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht, im Alter von 22 bis 25. Das Fach „Philosophie“ hat mich richtig gepackt und mir geholfen. Es hat mich in meiner Persönlichkeitsentwicklung sehr geprägt. Ich hatte mich dann aber entschieden, in der Wirtschaft als Personalentwicklerin tätig zu werden. Mit Mitte 50 wollte ich den Faden wieder aufnehmen – ich war neugierig darauf zu erfahren, was mir die Philosophie in dieser Lebensphase geben kann.

 

Gab es auch einen beruflichen Grund, das Studium der Wirtschaftsethik aufzunehmen?

Ja, durchaus. Spätestens ab 2015 zeichnete sich für mich überdeutlich ab, dass die Globalisierung und Digitalisierung tiefgreifende gesellschaftliche und berufliche Veränderungen mit sich bringen würden. Und mir war auch klar, dass die Anforderungen an Unternehmen, einen Beitrag zu den großen Herausforderungen der Zeit zu leisten, wachsen würden. Ich war der Meinung – und bin es immer noch –, dass Unternehmen gut ausgebildete Ethiker*innen dringend brauchen. Und diese Kompetenz wollte ich mir aneignen.

 

Sie haben von Anfang an Ihre Seminararbeiten in den Kontext Ihrer beruflichen Praxis gestellt. Hat sich dadurch Ihre Arbeit und Ihr Blickwinkel auf Ihre Themen oder Aufgabestellungen verändert?

Themen wie „Führung“, „Die Philosophie der Emotionen“, „Werte- und Sinnorientierung“ „Unternehmensverantwortung“ und „Resilienz“ haben eine hohe Relevanz für Unternehmen und die Menschen in Unternehmen. Das Studium hat mich befähigt, komplexe Problemstellungen zu analysieren, unterschiedliche Positionen präzise darzulegen und zu vergleichen. Wichtig war und ist mir auch, dass ich selbst fundiert Position beziehen und diese auch vertreten kann. Seit letztem Jahr bin ich neben meiner Kommunikationstätigkeit auch in der Ethik-Gruppe meines Unternehmens tätig. Ich freue mich, dort meine aus dem Studium heraus gewonnene Expertise einbringen zu können.

 

Das heißt, Sie konnten mit Ihrem Studium Ihren Wirkungskreis erweitern?

Ja, das kann ich bestätigen. Ich habe mir in meiner beruflichen Tätigkeit neue Themenfelder erschlossen und mir meine Arbeit ganz bewusst neugestaltet.

 

Das freut uns sehr. Vorhin haben Sie es schon anklingen lassen, dass das Philosophiestudium Ihr Leben verändert hat. In Ihren Veröffentlichungen wird das auch immer wieder deutlich. Inwiefern hat sich etwas geändert?

Das Studium hat meinem Selbstbewusstsein einen enormen Auftrieb gegeben. Allein, dass ich mich getraut habe, mit Mitte 50 zu studieren, dann noch berufsbegleitend neben einem anspruchsvollen Vollzeitjob und dann noch so etwas Anspruchsvolles wie Philosophie – das hat mich sehr gestärkt.

 

Wir erinnern uns noch gut an Ihr Lachen in den Seminaren und Vorlesungen.

Ja, die philosophische Sprache löste bei mir ab und zu große Heiterkeit aus. Wenn ich nur an das nichtende Nichts von Heidegger denke. Oder der Vortragstitel: „Der Mensch als Synthese von Indexikalität und Idealität.“ Das war für mich anfangs dermaßen unbegreiflich, dass nur noch mein rheinischer Humor mich vor der Verzweiflung des Nicht-Verstehens retten konnte.

 

Letztendlich haben Sie sich durch das Nicht-Verstehen aber ganz gut durchgearbeitet – wie auch Ihre Noten zeigen.

Danke schön – was sich durch das Studium definitiv entwickelt hat, ist meine Bereitschaft und meine Fähigkeit, mich mit schwierigen, sperrigen, fremden Denkweisen auseinanderzusetzen. Ich muss nicht alles auf Anhieb verstehen, und selbst wenn ich glaube, ein Zipfelchen verstanden zu haben, so ist Philosophie ja stets bereit, sich selbst in Frage zu stellen.

Ich habe vor allem erlebt, dass sich der Aufbruch auch mit über 50 Jahren in jeder Hinsicht lohnt. Daraus hat sich ein weiteres Tätigkeitsfeld ergeben: Ich arbeite mit Frauen 50plus. Diese stecken häufig in beruflichen oder privaten Umbruchsituationen – manchmal beides. Sie kommen zu mir, weil sie Klarheit über sich und ihre Situation erlangen und neue Perspektiven und Orientierung für die nächsten Schritte ihres Lebensweges gewinnen wollen. Und dabei helfen mein philosophischer Hintergrund meine eigenen Erfahrungen sehr.

 

Eine Etappe Ihres Philosophie-Studiums führte Sie in das Auslandssemester nach Krakau. Wie war diese Erfahrung für Sie und würden Sie diese Erfahrung weiterempfehlen

Das war im Winter 2019/20 kurz vor Corona. Es war eine wunderbare, leichte und inspirierende Zeit, Und ja, ich würde so eine Erfahrung jeder und jedem wünschen.

 

Was war das Besondere daran?

Ich war ja eine der ältesten Studierenden am Ignatianum in Krakau. Stellen Sie sich vor, meine Mentorin war Mitte 20, und jetzt sollte sie eine Frau, die älter als ihre Mutter war, durch das Studium begleiten. Ich habe im täglichen Leben in Krakau viel über Generationendialog gelernt. Dazu kam auch noch der kulturelle Austausch mit Menschen aller Altersgruppen. Außerdem habe ich mich in dieser Zeit auch viel mit der Geschichte der Deutschen in Polen beschäftigt. Nach einem halben Jahr bin ich nicht nur um eine große Lebenserfahrung reicher nach Hause gekommen, sondern auch mit vielen neuen Blickwinkeln auf Menschen, Kultur und Historie.

 

Können Sie zum Abschluss unseren Leser*innen drei wichtige Impulse aus Ihrer Studienzeit an der HFPH mitgeben?

Ja, gerne:

  • „Wo sind wir, wenn wir denken?“ fragt Hannah Arendt in ihren philosophischen Texten. Meine Antwort darauf: Denken ist wie das Schwimmen im Meer – und zwar ohne Schwimmweste.
  • Der zweite Impuls ist ein Buchtitel von Martin Buber: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“
  • Und zu guter Letzt meine tiefe rheinische Gewissheit: Et es wie et es. Et kütt wie et kütt. Und et hätt noch immer jot jegange.

 

Frau Adenau, wir danken Ihnen für das Gespräch.