München, 19.11.2015 (HfPh) Angesichts der anhaltenden großen Herausforderungen durch globale Krisen fordert der Münchner Sozialphilosoph Michael Reder ein neues demokratisches Selbstverständnis. „Unser demokratisches System hat die Globalisierung verschlafen“, kritisierte er bei seinem Festvortrag zur Akademischen Feier der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München, an der er als Professor lehrt. Es sei aktuell zu stark an das Konzept des Nationalstaats gebunden. „Globale Krisen machen nicht an Grenzzäunen halt“, stellte der Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Philosophie mit Schwerpunkt Völkerverständigung klar.
Während die Bundesregierung primär innenpolitische Themen aktiv auf ihre Agenda gesetzt habe, sei sie im tagespolitischen Geschäft vornehmlich von außenpolitischen Fragen eingeholt worden, sagte Reder. „Selbst Themen wie Mindestlohn und Kita-Ausbau können wir nur dann sinnvoll diskutieren, wenn wir alle Menschen, die jetzt und in Zukunft in Deutschland leben, einbeziehen oder zumindest in den Blick nehmen“, machte er deutlich. „Deshalb müssen wir gemeinsame Praktiken jenseits kultureller Grenzen entwickeln.“
Neben einer dezidierten Auseinandersetzung aller Beteiligten mit der kulturellen Vielfalt forderte Reder auch eine „gesunde demokratische Streitkultur“. „Integration kann nur dann gelingen, wenn wir auch abweichende Meinungen in der politischen Diskussion akzeptieren“. Dabei gehe es gerade nicht darum, Verständnis für Ausgrenzung und Diskriminierung aufzubringen. „Wir müssen Vorurteile und populistische Parolen durch Fakten und Argumente entkräften“, betonte er.
Der Präsident der Hochschule für Philosophie, Johannes Wallacher, sieht hier auch eine Aufgabe für die eigene Einrichtung. „In der Tradition des Jesuitenordens umfasst Bildung für uns viel mehr als bloße Wissensvermittlung“, hob er in seinem Bericht über das Akademische Jahr hervor. „Es geht uns auch um Charakterbildung.“ Die Studentinnen und Studenten lernten durch die Lehrveranstaltungen die Wirklichkeit in ihren Grunddimensionen zu verstehen, eigene Standpunkte und Emotionen zu hinterfragen und begründete Urteile zu fällen. „Es geht uns um Bildung in einem ganzheitlichen Sinn“, sagte Wallacher. „Wir wollen unsere Studierenden zu Persönlichkeiten ausbilden, die in der Lage sind, unsere Gesellschaft menschenwürdig mitzugestalten.“