Gelebte Interdisziplinarität – Projekt bildet Philosoph*innen und Theolog*innen in Persönlichkeitspsychologie aus

München, 08.08.2023 – In einem Projekt mit dem Titel „On Becoming a Person: Interdisciplinary Research on Personality Growth“ (IRP) erhalten Forscher*innen in Philosophie und Theologie die Möglichkeit, im Rahmen eines immersiven Lehr- und Forschungssettings einen eigenen Schwerpunkt im Bereich der Persönlichkeitspsychologie auszubilden. Das Programm führt zwei Gruppen von je acht Philosoph*innen und Theolog*innen in die Methoden interdisziplinären psychologischen Arbeitens ein und befähigt sie, im Rahmen des Programms selbst eine empirische Studie durchzuführen. Die erste Kohorte, die 2022 gestartet ist, wurde aus über 50 Bewerbungen ausgewählt und versammelt ein hochkarätiges Feld internationaler Forscher*innen. Teilnehmende Forscher*innen erhalten ein Stipendium. Das Projekt wird mit ca. 865.000€ von der John Templeton Foundation gefördert.

Pressebild IRP Projekt; Copyright: Christof Wolf SJ

Das Projekt wird geleitet vom Philosophen und Theologen Prof. Dr. Godehard Brüntrup SJ (Hochschule für Philosophie München) und dem Psychologen Prof. Dr. Markus Quirin (Technische Universität München), die hier zentrale Anliegen ihres Programms erläutern:

Prof. Brüntrup, Prof. Quirin, Ihr Projekt hat zum Ziel, Interdisziplinarität für die Forschenden ins Zentrum zu setzen. Warum ist dies so wichtig?

Godehard Brüntrup SJ: „Die Psychologie als empirische Wissenschaft ist vor gar nicht allzu langer Zeit aus der Philosophie hervorgegangen. Die großen Gründungsfiguren der Psychologie als Wissenschaft haben sich oft auch mit philosophischen Fragen beschäftigt. Um sich als streng empirische Wissenschaft zu etablieren, nahmen Psychologinnen und Psychologen dann aber bewusst Abstand von philosophischen Begriffsbildungen. Erfreulicherweise beobachten wir seit den letzten 20 Jahren eine gewisse Trendumkehrung: Philosophinnen und Philosophen interessieren sich für empirische psychologische Theorien und Psycholog*innen schätzen wieder mehr die begrifflichen Analysen mit philosophischen Mitteln. Als ein offensichtliches Beispiel kann man die Frage nach der Möglichkeit von Willensfreiheit nennen, die weder allein von der Psychologie noch allein von der Philosophie hinreichend bedacht werden kann. In diesem größeren Zusammenhang ist auch unser interdisziplinäres Projekt angesiedelt.“

Markus Quirin: „Die akademische Psychologie auf der einen Seite und die Philosophie und Religionswissenschaft auf der anderen Seite haben sich im Laufe des letzten Jahrhunderts zunehmend voneinander entfremdet. Bei der Fortentwicklung der Psychologie hat die behavioristische Herangehensweise Pate gestanden, nach welcher nur Phänomene untersucht wurden, die unmittelbar beobachtbar und messbar sind. In diesem Zuge sind auch die ‚großen‘ Fragen, wie ‚alles‘ miteinander zusammenhängt, und somit die Fragen nach Seele und dem Menschsein in den Hintergrund gerückt. Auch hat die Psychologie größtenteils eigene Terminologien für ihre Phänomene entwickelt, so dass die Kommunikation zwischen den Disziplinen schwierig geworden ist. Mit diesem Projekt wollen wir eine Wiederannäherung vorantreiben. Als erstes Thema für einen Brückenschlag haben wir ‚Persönlichkeitswachstum‘ gewählt, weil wir hierzu bereits gemeinsam geforscht haben und es eine große thematische Überlappung zwischen den Disziplinen darstellt. Konkreter untersuchen wir, ob und wie genau sich Persönlichkeit durch Lebenskrisen (also Wachsen durch Leiden) weiterentwickeln kann.“

Prof. Brüntrup, für Sie nimmt die Frage nach Persönlichkeitswachstum im Angesicht des Leidens einen wichtigen Bezugspunkt ein. Können Sie die Relevanz dieser Dimension für das Projekt erläutern?

Godehard Brüntrup SJ: „Unser Projekt ist ein transdisziplinäres Weiterbildungsprojekt für christliche Theolog*innen und Philosoph*innen. In der christlichen Tradition spielt der Gedanke, dass ein Verlust, ein Abschied, das Leid oder sogar der Tod immer die Chance für neues Wachstum enthält, eine große Rolle. Wir gehen in unserem Forschungsprojekt unter anderem der Frage nach, ob diese Einsicht der christlichen Tradition auch mit den Mitteln der modernen Persönlichkeitspsychologie empirisch erhärtet werden kann.“

Prof. Quirin, Sie haben sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Verhältnis von Persönlichkeitsentwicklung und traumatischen Erfahrungen beschäftigt. Welche Rollen spielen dabei philosophische Überlegungen?

Markus Quirin: „Definitiv eine große. Die traditionsreichen, philosophischen Ansätze zu dieser Thematik sind letztlich diejenigen, auf welche sich die Psychologie stützt. Allerdings wurden sie bislang nur in Ansätzen mittels empirischer Studien untersucht. Als ein Beispiel: Spirituelle Ansätze und viele Beispiele aus Literatur und Alltag sehen in Lebenskrisen wie Trennung und anderen Verlusten eine Chance zu einer Persönlichkeitstransformation, ganz nach den Weisheiten ‚per aspera ad astra‘ oder ‚was uns nicht umbringt, macht uns stärker‘. Interessanterweise spricht allerdings eine Zusammenschau der wesentlichen empirisch-psychologischen Arbeiten zu dieser Thematik kaum dafür, dass man persönlich an Leiden wächst. Wir und andere sehen aber substantielle Mängel in diesen Studien, die wir in diesem Projekt genauer beleuchten und beheben möchten. Zu diesem Zweck haben wir auch das europaweite ‚Interdisciplinary Research Consortium on Personality Growth‘ ins Leben gerufen, mit dem wir untersuchen möchten, welche genauen kontextuellen und persönlichkeitsbezogenen Faktoren Persönlichkeitswachstum anregen.

 

Weitere Informationen

Webseite des Projekts: www.personality-growth.org

Lehrendenprofil von Godehard Brüntrup SJ: www.hfph.de/bruentrup

Webseite von Markus Quirin: www.mquirin.com

Foto der ersten Kohorte (Copyright Christof Wolf SJ): www.hfph.de/irp-projekt

 

Kontakt

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der HFPH
Kristina Kleiß / Dr. Ludwig Jaskolla
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www.hfph.de/presse

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