„Unternehmen müssen Orte des gemeinsamen Lernens und Weiterentwickelns werden“ (Johannes Wallacher) – Zur gemeinsamen Tagung der connect Neustadt mit der HFPH, der BEA und dem vbw

Drei Dimensionen wolle die Tagung „Arbeit geben - Arbeit nehmen“ in den Blick nehmen, so der Initiator der Tagung und Mitgründer der connect Neustadt GmbH & Co. KG, René Leibold, in seinen einleitenden Gedanken: Zunächst die Bedeutung von Arbeit in grundsätzlicher Hinsicht für unsere Gesellschaft, dann die Bedeutung der Arbeit für jeden einzelnen Menschen im Hier und Heute, schlussendlich die Rolle, die Digitalität schon spielt und weiterhin spielen wird.

Podiumsdiskusison der Tagung "Arbeit geben – Arbeit nehmen" mit René Leibold, Johannes Wallacher, Katharina Schüller und Bertram Brossardt (v.l.n.r.); Copyright: René Leibold

Multiperspektivisch wurde in der Tagung zu diesem Spannungsdreieck aus Theorie und Praxis über Arbeit nachgedacht. Die Tagung, die am 8. Dezember 2022 von der connect Neustadt in Kooperation mit der Hochschule für Philosophie München (HFPH) und der Bayerischen EliteAkademie (BEA) im Haus der Bayerischen Wirtschaft der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) veranstaltet wurde, setzte bedenkenswerte Impulse im Rahmen des 25-jährigen Jubiläums der connect Neustadt. So nahm Leibold in seinem Impuls auch grundsätzliche philosophische Erwägungen in den Blick: Die Begriffe „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“ leiten sich von Friedrich Engels her, so Leibold, und prägen auch heute noch unser Gesellschaftsbild. Unproduktiv zu sein, sei wesentlich parasitär – ein Gedanke auf den auch Hannah Arendt in ihrem Werk „Vita Activa“ Bezug nehme. Die aktuelle Debatte um das „Bürgergeld“ mache dies überdeutlich. Mit diesen Anregungen wurde die gedankliche Landschaft des Formats umrissen.

Impuls René Leibold

Der Präsident der HFPH und Stiftungsvorstand der BEA, Prof Dr. Dr. Johannes Wallacher, plädierte in seinem Vortrag für eine ganzheitlichere Lesart des Ahnherrn der modernen Ökonomie Adam Smith. Smith, so Wallacher, sollte – auch als Vertreter des „Scottish Enlightement“ – vor dem Hintergrund seiner moralphilosophischen Überlegungen gelesen werden. Zu oft werde Smith auf wenige Floskeln, wie die „unsichtbare Hand“ oder die Rolle des „Eigeninteresses“, reduziert.

Smiths ökonomisches Hauptwerk „Der Wohlstand der Nationen“ sei jedoch nur vor dem Hintergrund seines ethischen Hauptwerks „Theorie der moralischen Gefühle“ verstehbar. Den Menschen stellt Smith dabei als Wesen vor, das am Schicksal anderer Anteil nehme, selbst wenn davon kein direkter Vorteil zu erwarten sei. Dies scheint der Interpretation des Menschenbildes des „Wohlstands der Nationen“ entgegen zu stehen, demzufolge Menschen nur auf den eigenen Vorteil bedacht seien. Wer Smith und seine Lehre von der Arbeitsteilung verstehen will, müsse jedoch das Verhältnis von Eigeninteresse und Sympathiefähigkeit betrachten und bedenken, dass für Smith zwei grundlegende Prinzipien maßgeblich sind:

  • Das ethische Grundprinzip der Sympathie, die einerseits deskriptiv als Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, aufgefasst werden sollte und andererseits als Urteil, ob meine Reaktion auf ein bestimmtes Problem einer anderen Person angemessen ist, gelesen werden sollte.
  • Das ökonomische Grundprinzip der Arbeitsteilung, das für Smith die Quelle des Wohlstands der Nationen darstellt und ihren Ursprung in der menschlichen Neigung zum Tausch hat. Tausch und Handel sind mit der menschlichen Denk- und Sprachfähigkeit verknüpft: Deshalb können Tauschhandlungen, so Wallacher, ihrem Wesen nach auch als Austausch von Argumenten verstanden werden.

    Vortrag von Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher bei "Arbeit geben - Arbeit nehmen"

Ergebnis der Arbeitsteilung ist entgegen dem Leitbild der Autarkie jedoch, dass Menschen sozial voneinander abhängig werden. Damit stellt sich für Smith die Frage, wie man angemessen auf die Abhängigkeit reagieren könne. Sich wie ein Bettler oder ein winselnder Hund auf das Wohlwollen anderer zu verlassen oder gar davon abhängig zu machen, ist für Smith nicht mit der Würde des Menschen vereinbar und zudem nicht effizient. Dagegen votiert Smith für den Tausch als Form eines gegenseitigen Übereinkommens, das jedoch unter Berücksichtigung des Sympathieprinzips fair sein muss, d.h. dem Urteil des vorgestellten unparteiischen Zuschauers Stand halten muss. Insofern markiere der Tausch eine Form der Interaktion unter Gleichen – wenn Arbeitnehmer den Arbeitgebern ihre Arbeitsleistung und letztere umgekehrt die Mitwirkung an der unternehmerischen Wertschöpfung und einen fairen Lohn anbieten. Die marktmäßige Koordination über Angebot und Nachfrage, vermittelt über Konkurrenz und Wettbewerb, könne von daher als Abstraktion und (partielles) Substitut einer Verständigung mit dem Tauschpartner interpretiert werden.

Für Smith sind dann aber Kommunikation und Wettbewerb unter Konkurrenzbedingungen und nicht Egoismus und Konkurrenz die konstitutiven Merkmale arbeitsteiliger Marktwirtschaften. Diese Synthese von Wettbewerb und Kommunikation unter fairen Bedingungen sieht Wallacher als zentrales Argument Smith’schen Denkens. Für Smith ist das Eigeninteresse ein „natürliches“, jedoch nicht das alleinige Motiv menschliches Handeln, auch in wirtschaftlichen Zusammenhängen. Er sieht in seinen ethischen und ökonomischen Werken ein differenzierteres System von wechselseitig verknüpften Kontrollinstanzen für das Eigeninteresse vor, angefangen vom Wettbewerb zur Begrenzung politischer und ökonomischer Macht bis hin zum wechselseitigen Rollentausch und die Figur des vorgestellten unparteiischen Beobachters, institutionell gefasst in Regeln der Sittlichkeit bzw. des Pflichtgefühls oder ein System positiver und durchsetzbarer Gesetze, was wir heute als Ordnungspolitik bezeichnen würden. 

Smith in dieser Weise für konkrete Fragen der Wirtschafts- und Unternehmensethik, eingeschlossen der Beziehung zwischen Arbeitsgeber*innen und Arbeitnehmer*innen fruchtbar zu machen, ist für Wallacher ein echtes Desiderat.

Katharina Schüller, Gründerin von STAT-UP Statistical Consulting & Data Science GmbH und Alumna der BEA, sprach in ihrem Impuls über die Bedeutung von „Data Literacy“ als Zukunftskompetenz jedes zukünftigen Arbeitsmarktes. Ausgehend von H.G. Wells gesellschaftlicher Dystopie in „Die Zeitmaschine“, stellte sie sich die Frage, wie Menschen zu mündigen Arbeitnehmer*innen in der heutigen Zeit werden können.

Vortrag von Katharina Schüller bei "Arbeit geben - Arbeit nehmen"

Gerade der Einsatz von KI-Technologien in vielfältigen Bereichen der Arbeitswelt fordere uns ganz neu in ethischer Perspektive heraus – zu einer Vielzahl von Beispielen für diese Trends gehörte u. a. die Gender Shades-Studie. Als Gesellschaft müssen wir uns also ganz grundlegend einer Frage stellen, so Schüller: Wie können Menschen ethisch-kritisch-reflektierend mit KI-Systemen autonom umgehen?

Die Gründerin des CargoKite Amelie Binder, die aktuell Stipendiatin der BEA ist, sprach dann abschließend zur Rolle von Start-Ups als Arbeitgeber: Woher komme die Annahme, dass Start-Ups schlechte Arbeitgeber seien, die lange Arbeitszeiten voraussetzten und niedrige Gehälter böten?

Vortrag von Amelie Binder bei "Arbeit geben - Arbeit nehmen"

Binder unterstrich, dass es auch eine große Menge an positiven Aspekten, wie Verantwortung oder Gestaltungsfreiheit gebe, die sich sehr motivierend auf Mitarbeiter*innen auswirken könnten. Denn für viele Menschen stehe heute auch die Frage im Vordergrund, wie man mit der eigenen Arbeit einen positiven Beitrag leisten könne. Und so stellen, laut Binder, Freiheit, Sinnhaftigkeit etc. zentrale Werte dar, die sich auf viele andere Arbeitsumfelder übertragen lassen und nicht nur auf den Start-Up-Bereich beschränkt sein sollten.

Podiumsdiskussion bei "Arbeit geben - Arbeit nehmen"

In einer Podiumsdiskussion unter der Moderation von René Leibold, zogen Katharina Schüller und Johannes Wallacher zusammen mit dem Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, Bertram Brossardt, Schlüsse aus den verschiedenen Impulsen. Zu den Fragen, die diskutiert wurden gehörten u. a. die Folgenden: Welche Kultur erwarten Arbeitgeber*innen für die Zukunft? Wie gestaltet sich die Zukunft des Vertrauens angesichts von KI? Wie gehen wir mit einer Welt der Unsicherheit um? Wie transformationswillig sind die deutschen Unternehmen?

Speaker der Veranstaltung "Arbeit geben - Arbeit nehmen"

 

Teilnehmer der Veranstaltung teilen ihre Eindrücke: