„Und Frieden auf Erden“ – das klingt tatsächlich himmlisch. Kaum etwas aus der Weihnachtsgeschichte wirkt so verheißungsvoll, so notwendig. Milliarden Menschen sehnen sich danach. Und gemäß der Erzählung des Evangelisten Lukas war das die Botschaft der Engel an die Hirten, d.h. diese armen Menschen: Es sollen die Ehre Gottes in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens mit der Geburt des Erlösers verbunden sein.
Wir gehen nun auf die Feier dieser Weihnacht erneut zu. Viele werden diese Engelsverkündigung hören. Wir werden sie möglicherweise für das Aktuellste oder Dringlichste an der Weihnachtsbotschaft empfinden. Wir werden hoffen und beten.
Nicht wenige Menschen werden sich aber auch fragen: Hatten die Engel nicht doch letztlich Unrecht? War ihre Verkündigung nicht ein „frommer Wunsch“ im sprichwörtlichen Sinne – überweit entfernt von der Realität? Denn als Beschreibung der aktuellen Weltlage könnte kaum etwas seltsamer und abwegiger lauten.
Schon für Jesus von Nazareth selbst hat sich die Verheißung von Frieden, der biblischen Überlieferung nach, nicht erfüllt. Er wurde gefoltert und hingerichtet. Nicht lange danach wurde der Tempel Jerusalems zerstört.
Vor genau 80 Jahren saß der Jesuit Alfred Delp SJ in Berlin Tegel im Gefängnis – mitten im Krieg. Sein „Verbrechen“ bestand darin, Kontakte gehabt zu haben zu Personen, die damals begannen, über eine friedliche Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland nachzudenken. Er befand sich in einer Situation, wie sie derzeit nur über Medien nach Deutschland kommt, aus einer puffernden geographischen Distanz. Aber damals hatten die Deutschen sich ihren Diktator sogar selbst demokratisch gewählt, und seine, also unsere, berüchtigten Gefängnisse und Menschenvernichtungslager übertrafen die al-Assads, die Nachrichten aktuell zeigen, um ein Vielfaches. Im Umkreis von München gab es mehr als eines. In diesen Schlachtanlagen wurden „Fremdrassige“ eingesperrt und umgebracht. Andere auch. In Berlin saß der Jesuit als solcher im Gefängnis und hoffte, dem Todesurteil zu entkommen. Wäre er damals bereit gewesen, aus dem Orden auszutreten, wäre er freigelassen worden. Aber Alfred Delp wollte das nicht. Er legte sogar im Gefängnis noch die „Letzten Gelübde“ ab, band sich also „ewig“ an diesen Jesus, bei dessen Geburt die Engelstimmen vom Frieden gesungen hatten. Realitätsfern? Diese Ewigkeit hat im Kalender kurz ausgesehen. Er wurde wenige Wochen später hingerichtet, am 2. Februar 1945.
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Daran geht die Weihnachtsbotschaft allerdings auch nicht vorbei. Im Gegenteil. Es ist gemäß der Überlieferung sehr dunkel und arm dort, wo Gott zur Welt kommt. Er kommt nicht als Wunderkind, sondern als kleiner, verletzlicher Mensch.
In seinen letzten Wochen, das Todesurteil vor Augen und die Bomben manchmal unmittelbar vor der Gefängnismauer, hat Delp Weihnachtsmeditationen aufgeschrieben. Darin spiegelt sich auch die sehr große dunkle Nacht:
„In diesem Jahr sind die Versuchungen zum Idyll wohl weniger groß. Die Härte und Kälte des Lebens hat uns mit früher unvorstellbarer Wucht gepackt. Und mancher, dessen Wohnung nicht einmal den Kälteschutz des Stalles von Betlehem mehr aufbringt, vergisst die Idylle von Öchslein und Eselein und kommt vielleicht vor die Frage, was nun eigentlich geschehen sei. Ist die Welt schöner geworden, ist das Leben heilbar geworden, weil Weihnachten war, weil die Engel nun in aller Offenheit und Öffentlichkeit ihr Gloria gesungen haben, weil die Hirten staunten und liefen und anbeteten, weil ein König erschrak und die Kinder tötete? Ja, hier ist die Frage eigentlich schon überholt … Man muss gerade Weihnachten mit einem großen Realismus feiern, sonst erwartet das Gemüt Wandlungen, für die der Verstand keine Begründungen mehr weiß. Und das Ergebnis des tröstlichsten aller Feste kann gerade heute eine bittere Enttäuschung und lähmende Müdigkeit sein ... Lasst uns wandern und fahren, lasst uns die Straßen und Schrecken des Lebens nicht scheuen und fürchten: in uns ist ein Neues geworden; und wir wollen nicht müde werden, dem Stern der Verheißungen zu glauben und den singenden Engeln ihr Gloria zuzugestehen, wenn auch manchmal unter Tränen“ (Gesammelte Schriften 4, 186-190)
Das nachzuempfinden, hilft vielleicht auch uns. Es geht darum, die Spannung nicht aufzulösen, sondern in sie hineinzugehen. Nicht die Gewalt auszublenden. Aber ebenso wenig den Frieden Gottes von der Welt innerlich abzuspalten und der Welt ihre Kriege zu lassen. Und doch auch nicht die Ohren ganz zu verschließen bzw. einfach auf Durchzug zu stellen, wenn wieder einmal vom Frieden auf Erden etwas zu hören ist. Wir brauchen Mut, zur Ehre Gottes unser Verhalten so zu verändern, dass die Gerechtigkeit wächst, und unser Handeln und Sprechen so, dass wir die „kleinen“ Menschen der Welt anschauen und vor allem ihren Frieden suchen – unter Einsatz unseres Lebens, buchstäblich. Und so den Engeln recht geben.
– Sr. Britta Müller-Schauenburg CJ
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Zur Person:
Sr. Britta Müller-Schauenburg CJ wurde 1972 in Reutlingen geboren. Nach einer Ausbildung als examinierte Altenpflegerin arbeitete sie im Krankenhaus und in der mobilen und stationären Altenpflege. Sie studierte Philosophie und Theologie, war in Lehre und Forschung tätig und trat 2016 in den Orden der Congregatio Jesu ein. Seit dem Wintersemester 2024/2025 ist sie an der Hochschule für Philosophie München als Beauftragte für Campus Ministry tätig.