Im Zentrum der Projektwoche stand in erster Linie das Bewusstwerden für die Lebenssituation aller Menschen auf der Insel. Die Kluft zwischen Willkommenskultur und Ausgrenzung wird auf Lesbos besonders deutlich: „Durch Lesbos zieht sich ein tiefer Riss, es ist eine gebrochene Insel. Diejenigen, die sich für Geflüchtete einsetzen, stehen denjenigen gegenüber, die es satthaben, die sich von Europa allein gelassen fühlen, die ihre Insel wieder zurückhaben wollen, ganz für sich“, berichtet Barbara Schellhammer von ihren persönlichen Eindrücken während des Forschungsaufenthalts. „Nach dem Brand 2020 im Camp Moria sind das Leid und die Ungerechtigkeit nur um ein paar Kilometer verschoben worden: in das Camp Kara Tepe. Diesem Missstand müssen wir gemeinschaftlich ein Ende setzen“, so die Wissenschaftlerin weiter.
Die Teilnehmenden der international zusammengesetzten Projektgruppe, bestehend aus Lehrenden beider Hochschulen, jungen Jesuiten (Scholastikern) sowie Studierenden der Internationalen Sozialen Arbeit der FHWS, schärften ihr Bewusstsein für das Leben auf der Insel mit spirituellen Übungen und einem Symposium zum Thema „Acknowledging the nature of the refugee crisis and overcoming it“. Auch der gegenseitige Austausch mit Einheimischen und Aktivist*innen, z.B. der Münchner NGO SchlaU-Werkstatt für Migrationspädagogik, spielten dabei eine bedeutsame Rolle, um sich ausführlich mit Flucht, Migration und der Grenzpolitik der Europäischen Union aus verschiedenen Perspektiven auseinander zu setzen.
Im Rahmen ihrer Ausbildung im Formation Center München an der HFPH, beschäftigen sich die Scholastiker grundlegend mit den Grenzen globaler Solidarität, europäischen Werten sowie mit Flucht und Migration. Auch für das Zentrum für Globale Fragen (ZGF), welches die Summer School mitorganisiert hat, stehen Themen an der Schnittstelle von Forschung und Gesellschaft im Mittelpunkt. Behandelt werden philosophische Fragen in gesellschaftlichem, politischem oder kirchlichem Kontext, so u. a. aus dem Bereich Migration/Flucht.
Prof. Dr. Barbara Schellhammer, die die Leitung des ZGF innehat, richtet nach ihrem Besuch auf Lesbos einen wichtigen Appell an die Politik:
„Die Menschen an den europäischen Grenzen dürfen jetzt nicht in Vergessenheit geraten. Das Warten und erzwungene Nichtstun in den Lagern zermürbt die Menschen, das Wegschauen der Öffentlichkeit bei Fragen nach illegalen Pushbacks beschädigt das Vertrauen in das Rechtsstaatsprinzip. Nicht nur die Umsetzung des Solidaritätsprinzips, sondern auch die Achtung der europäischen Werte verpflichten uns zu mehr Unterstützung in Sachen Flüchtlingspolitik. Unser Eingreifen in die prekäre und menschenrechtsverletzende Situation der Geflüchteten auf der Insel Lesbos ist dringend geboten. Die Schaffung von Lösungen in Fragen der Migrationspolitik muss ein zentraler Punkt auf der Agenda der neuen Regierung sein.“
Die zentrale Frage wird nun zukünftig lauten, wie wir mehr Solidarität schaffen können, um das Dilemma der humanitären Hilfe für Geflüchtete auf der einen und die Unterstützung der europäischen Grenzstaaten auf der anderen Seite bewältigen zu können. Lösungsideen und lehrreiche Erkenntnisse sollen ausgehend von dem Forschungsprojekt bei der resümierenden Abendveranstaltung „Lessons from Lesvos“ vorgestellt und zusammengetragen werden. Neben Frau Prof. Schellhammer werden an diesem Abend, am 02. November 2021, um 19:00 Uhr, auch Dr. Stefan Einsiedel und Dr. Thomas Steinforth vom Zentrum für Globale Fragen mit ihren Impulsen zur Debatte beitragen. Scholastiker werden ihre persönlichen Eindrücke von dem Aufenthalt auf Lesbos mit dem Publikum teilen.
Die Veranstaltung wird via Livestream übertragen. Alle Informationen zu der Veranstaltung: www.hfph.de/lessons-from-lesvos
Die Summer School wurde durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst sowie durch pro philosophia e. V., Förderverein der HFPH, gefördert.