"Philosophieren heißt zweifeln und staunen" – Interview mit Prof. Dr. Mara-Daria Cojocaru

Neben Professor*innen forschen und lehren an der HFPH auch viele weitere Wissenschaftler*innen. Prof. Dr. Mara-Daria Cojocaru vertritt in diesem Sommersemester die Professur für Allgemeine Ethik an der Hochschule. Mara-Daria Cojocaru war bis September 2021 Leiterin des Rottendorfprojekts an der HFPH. Im Juli 2022 wurde sie an der HFPH habilitiert und ist seitdem Privatdozentin. Wir haben mit ihr über das kommende Semester und ihre philosophischen Schwerpunkte gesprochen.

Prof. Dr. Mara-Daria Cojocaru, Copyright: privat

Auf welche Schwerpunkte in der Lehre dürfen sich die Studierenden im kommenden Sommersemester freuen?

Nachdem ich in vergangenen Jahren vor allem tierethische und -politische Themen in das Lehrangebot eingebracht habe, geht es in diesem Sommersemester um Fragen der Ethik allgemein. Kann man Ethik, immerhin schon Teil der „Praktischen“ Philosophie, sinnvoll auch noch anwenden? Wenn ja, wer kann das, mit welchem Recht und in welcher Form? Und wie mag sie helfen, sich moralische Urteile zu drängenden Fragen unserer Zeit zu bilden? Um solche Fragen geht es in meinem Hauptseminar. In meinem Proseminar können wir anhand einer genauen Lektüre des Gorgias-Dialogs sehen, welche uralten Fragen der Ethik – etwa wie Macht und Moralität zusammengehen oder auch nicht – Philosoph*innen schon immer umgetrieben haben. Auch wenn sich die Art und Weise, wie wir in der akademischen Philosophie heute schreiben, seit Platon stark verändert hat, kann so eine Lektüre auch immer helfen, das eigene Philosophieverständnis ganz grundsätzlich zu klären oder zu erweitern. Darauf freue ich mich zumindest – und ich hoffe, die Studierenden wird es interessieren.

 

Gibt es auch Forschungsschwerpunkte, die Sie sich für die Vertretungsprofessur in diesem Sommer vorgenommen haben?

Philosophische Forschung erstreckt sich ja üblicherweise über einen längeren Zeitraum und so gibt es nicht das eine Projekt für den Sommer – schön wär’s! Aber ich bringe ein Projekt mit, an dem ich schon länger arbeite, dabei geht es um tiergestütztes oder tierinfomiertes Philosophieren. Darüber hinaus arbeite ich derzeit an einem Artikel zum Recht auf Bildung für Hunde – und damit meine ich mehr als Training à la „Sitz! Platz! Fuß!“. Auch soll in dem Zeitraum ein Sammelband zum Thema „Solidarität mit Tieren“ bei OUP (Oxford University Press) fertiggestellt werden und es wird ein weiterer Artikel, der schon fertig ist, spezifisch dazu, was Solidarität für unseren Umgang mit und unser Verhältnis zu Wildtieren heißt, in Ethics, Policy & Environment erscheinen. In beiden Fällen habe ich mit dem britischen Kollegen Alasdair Cochrane kooperiert. Spannend wird für mich die Suche nach weiteren Kooperationspartner*innen und vor allem Geldgeber*innen für das eingangs genannte Projekt. Da hier traditionelle Philosophie auf Konzepte aus den Human-Animal Interactions trifft und das Ganze noch einmal praktisch gedacht und zudem noch kreativ ist, sitzt man bei den üblichen Anlaufstellen ein wenig zwischen den Stühlen. William James hat aber mal – sinngemäß – gesagt, eine neue Theorie würde zunächst immer für absurd gehalten, dann für wahr, aber trivial, und zuletzt haben die ursprünglichen Skeptiker*innen sie immer selbst erfunden – so oder ähnlich. Hoffen wir, dass es mit der tierinformierten Philosophie genauso sein wird!

 

Zu Ihren Schwerpunkten zählen u. a. Tierphilosophie und Tierethik. Welche Themen sind Ihrer Meinung nach für die aktuelle Debatte besonders bestimmend?

Jetzt muss man genau sein und die akademische Debatte von der öffentlichen unterscheiden. In der öffentlichen Debatte werden immer noch Themen heiß diskutiert, die philosophisch offen gestanden langweilig geworden sind. Ob andere Tiere überhaupt moralisch zählen und mithin Praktiken wie die Nutztierhaltung oder Tierversuche (in denen ja Tiere, die in menschlicher „Obhut“ sind, systematisch in ihren Grundbedürfnissen frustriert werden) noch vertretbar sind oder nicht – da muss man klar sagen, dass wir ein moralpragmatisches Problem mit der Umsetzung moralischen Wissens in die Praxis haben, aber solche Fragen nicht mehr cutting edge in der Forschung sind. Bestimmender für die akademische Debatte ist ein deutlich differenzierteres Bild. Da wird sehr genau zwischen verschiedenen Tieren unterschieden, zunehmend mehr über Tiere, die nicht in menschlicher Obhut sind, nachgedacht, oder auch über jene, die uns evolutionär ferner sind als andere Säugetiere, Vögel etwa, oder sogar sehr fern, wie etwa Kopffüßer oder Insekten. Und gleichzeitig kommen auch die bislang als, ich sag mal so, „moralisch unbedenklich“ empfundenen Beziehungen zu Heimtieren in den Blick – lange Zeit hieß es: „Die einen streicheln wir, die anderen essen wir!“ und damit wurde nahegelegt, dass es ersteren gut gehen müsse, denn sie sind ja als Beziehungspartner des Menschen in einer privilegierten Position. Dass diese Position moralisch alles nur nicht unbedenklich ist, wird langsam klarer diskutiert.

 

Ein weiterer Ihrer Schwerpunkte ist die Philosophie des Pragmatismus. Die HFPH hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen in Philosophie auszubilden, damit sie komplexe Zusammenhänge kritisch erfassen können und Orientierung in den existenziellen Fragen des Menschseins gewinnen. Welche Rolle könnte dabei pragmatistisches Denken spielen?

Das ist eine gute Frage. Ich habe manchmal ein gewisses Unbehagen, wenn Philosoph*innen für sich in Anspruch nehmen, ein Monopol auf kritisches Denken und existenziellen Tiefgang zu haben. Erstens legt das nahe, dass eine Mathematikerin oder ein Jurist hier grundsätzlich Defizite haben müsste. Das finde ich etwas überheblich. Zweitens kenne ich aber auch genug Philosoph*innen, die de facto unkritisch sind oder auch eher unmusikalisch was die existenziellen Fragen des Menschseins betrifft.

Ich habe aber vor allem den Eindruck, dass eben dieser Anspruch aus einer Defensivhaltung heraus formuliert wird. Als ob es begründungsbedürftig wäre, zu philosophieren. Warum sollte das denn so sein? Philosophieren heißt u.a. zweifeln und staunen – das macht jede*r, dem/der es nicht abtrainiert wurde – und sich dabei in eine lange Tradition zu stellen. Die Tradition des philosophischen Pragmatismus ist da vielleicht noch einmal deswegen so interessant – als eine von vielen – weil historisch großer Wert auf dem Abgleich mit naturwissenschaftlichen, experimentellen Methoden gelegt wurde, weil sie die Unterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie so einfach nicht akzeptiert und weil die Gemeinschaft – und nicht etwa der/die denkende Einzelne – üblicherweise im Vordergrund steht.

 

Nennen Sie uns drei Ethiker*innen, die jede*r gelesen haben sollte. Warum sollte man sich mit diesen Denker*innen beschäftigen?

Ich finde die Personenzentrierung in der Philosophie ungut, da sie auch ein Problem verschärft, das die Philosophie besonders betrifft und das ist die Unsichtbarkeit von Frauen und anderen Minderheiten. Natürlich könnte ich Elizabeth Anscombe, Mary Midgley, Philippa Foot und Iris Murdoch nennen – das in jüngerer Zeit insbesondere von den britischen Kolleginnen Clare Mac Cumhaill und Rachael Wiseman erforschte „Quartett“ von Oxford-Philosophinnen, die in der Nachkriegszeit gerade für die Moralphilosophie extrem wichtige Fragen gestellt haben. Diese Frauen waren nämlich unzufrieden damit, dass die akademische Philosophie ihrer Zeit sich nicht zu drängenden Fragen wie etwa Kriegsverbrechen geäußert hat. Und ich finde alle vier – in unterschiedlichem Maße – sehr lesenswert, auch für eine interessierte Allgemeinheit. Das Buch von Mac Cumhaill and Wiseman, Metaphysical Animals, ist vielleicht ein guter Einstieg. Dennoch sträube ich mich dabei, allgemeine Lektüretipps auf diese wenigen Personen engzuführen. Ich kann jedem nur empfehlen, mal bei den Fachgesellschaften wie der DGPhil, der GAP oder dem GERPRAG vorbeizuschauen, bei Tagungen zu studieren, was da so alles diskutiert wird – Zeitschriften zu lesen und thematisch zu stöbern, statt nur nach den großen Namen zu suchen. Am Ende muss ja doch jede*r selber denken und dann hilft „Habermas hat gesagt“ genauso wenig wie, mit Verlaub, „aber der Papst sagt“. Beides habe ich schon gehört – beides ist alleine nicht philosophisch befriedigend.

 

Zur Person:
Mara-Daria Cojocaru, geboren 1980 in Hamburg, war von 2012 bis 2021 zuerst wissenschaftliche Mitarbeiterin und ab 2019 Leiterin des von der Rottendorf-Stiftung getragenen Projekts „Globale Solidarität – Schritte zu einer neuen Weltkultur“ der Hochschule für Philosophie München (HFPH). Seit 2022 ist Cojocaru Privatdozentin an der HFPH. Sie hat Politikwissenschaft, Philosophie, Theaterwissenschaft und Recht im Nebenfach an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert, wo sie 2011 mit einer Arbeit in der politischen Philosophie promoviert wurde. Forschungsaufenthalte führten sie u. a. an die Universitäten Sheffield und Brighton, sowie an das Messerli Institut der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Als Lyrikerin wurde sie vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Deutschen Preis für Nature Writing 2021 und dem Lyrikpreis des Mondseelandes.

 

Weiterführende Informationen:

Link zur Website von Prof. Dr. Mara-Daria Cojocaru: www.hfph.de/hochschule/lehrende/dr-mara-daria-cojocaru