Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine wegweisende Entscheidung zum Thema Lebendorganspende getroffen. Er hat in seinem Grundsatzurteil zwei Nierenspendern Recht gegeben und hohe Ansprüche an die Aufklärung von Lebendspendern gestellt.
In den beiden Fällen spendeten nahe Verwandte ihrem Ehepartner bzw. Vater eine Niere und litten anschließend unter chronischer Müdigkeit und Antriebslosigkeit. Beide beklagen eine inhaltlich und formal unzureichende Aufklärung durch die Ärzte. So hätten etwa wegen Vorerkrankungen medizinische Gründe gegen eine Nierenentnahme gesprochen. Vorinstanzen wiesen die Klagen mit der Begründung der „hypothetischen Einwilligung“ ab. So ging das Oberlandesgericht Hamm davon aus, beide Kläger hätten auch dann der Spende zugestimmt, wenn sie intensiver aufgeklärt worden wären.
Der BGH entschied nun anders. Die aus dem Arzthaftungsrecht stammenden Grundsätze der hypothetischen Einwilligung ließen sich auf die Lebendorganspende nicht übertragen. Die Einhaltung der Vorgaben des Transplantationsgesetzes „ist unabdingbare Voraussetzung, wenn – um des Lebensschutzes willen – die Bereitschaft der Menschen zur Organspende langfristig gefördert werden soll“, so der BGH.
Wir haben mit Prof. Dr. Eckhard Frick SJ über die Bedeutung des BGH-Urteils gesprochen.
Prof. Frick, der Bundesgerichtshof hat eine juristische wegweisende Entscheidung getroffen. Was halten Sie von dem Urteil? Geht es in die richtige Richtung?
Bei allem Respekt vor der höchstrichterlichen Entscheidung befürchte ich, dass nun die Betonung von Gesundheitsrisiken für Spender viele davon abhalten wird, ein Organ für eine nahestehende Person anzubieten. Andererseits ist die Bekräftigung der Aufklärungspflicht selbstverständlich ein begrüßenswertes Signal.
Bei Leber und Niere, bei denen eine Lebendorganspende möglich ist, besteht ein hoher Bedarf an Spenderorganen. Welche Auswirkungen erwarten Sie von dem Urteil?
Ich hoffe, dass der Aspekt der Freiwilligkeit und der sorgfältigen Begleitung des Spender-Empfänger-Paares gestärkt wird. Das hat nicht nur juristische Aspekte, sondern auch ärztlich-therapeutische. Paragrafen müssen gekannt und befolgt werden, aber noch wichtiger ist es, den beteiligten Personen beizustehen, ihre Entscheidungsprozesse zu begleiten, auch dann, wenn diese anders oder langwieriger verlaufen, als die Ärzte sich dies vielleicht wünschen.
Das Oberlandesgericht Hamm, das die Fälle nun wieder neu beurteilen muss, hat mit der „hypothetischen Einwilligung“ die Schadensersatzklage zunächst abgewiesen. Wie beurteilen Sie diese Argumentation aus ethischer Sicht? Nimmt eine solche Annahme die behandelnden Ärzte aus der Pflicht?
Häufig ist es so wie in den vorliegenden Fällen: Wir müssen zwischen der juristischen einerseits und der ethischen Ebene andererseits unterscheiden. Einerseits entscheiden die Gerichte darüber, ob Schadensersatz zu leisten ist, wenn die Aufklärung möglicherweise nicht umfassend genug oder nicht ausreichend dokumentiert war. Andererseits – wie auch immer die Gerichte entscheiden: Es bleibt bei der ärztlichen Pflicht, in einem mehrstufigen Beratungsprozess so gut aufzuklären, dass die potenziellen Organspender eine fundierte Einwilligung geben können oder sich gegen die Spende entscheiden.