Sie kennen die Medien aus einer ganz praktischen Perspektive als Journalistin und Pressesprecherin – heute sind Sie als Forscherin eher auf die theoretische Seite gewechselt: Inwiefern sind für Ihre Arbeit die Synergien dieser beiden Perspektiven integral?
Gegen Ende meines Doktoratsstudiums habe ich das universitäre Leben in gewisser Weise als trocken und abgehoben empfunden. Ich wollte beruflich etwas tun, das gesellschaftliche Relevanz hat. Ich wollte Texte schreiben, die viele Menschen lesen, nicht nur mein Doktorvater, der Zweitbegutachter, eine Handvoll Fachkolleg:innen und meine Mutter. Der Ausflug in den Journalismus und dann vor allem in die PR hat mir Dynamik, Aufmerksamkeit und insbesondere das Gefühl gegeben, etwas bewegen, verändern zu können. Allerdings habe ich mich auch mehr und mehr nach dem zurückgesehnt, was ich aufgegeben hatte: die gründliche Recherche und den Luxus, keiner Autorität außer dem besseren Argument verpflichtet zu sein, jeden Tag entscheiden zu können, mit welchen Fragen man sich auseinandersetzen will.
Die Entscheidung, an die Universität zurück zu kehren und mich um ein Habilitationsprojekt zu bewerben, hatte einmal damit zu tun, dass ich gelernt hatte, diese Vorzüge zu schätzen. Und es hatte damit zu tun, dass ich mit der Ethik ein Fach gefunden hatte, in dem ich Fragen behandeln konnte, die ständig in Bewegung sind und viele Menschen beschäftigen. In einem universitären Kontext als Moralphilosophin forschen und lehren zu dürfen, vereint für mich alles, was für mich zu einem erfüllten Berufsleben gehört. Die Medienethik hat mir darüber hinaus, wie Sie schon sagten, die Möglichkeit geboten, das außerhalb der Universität Erlebte zu reflektieren und Synergien zwischen einer stärker theoretischen und einer praktischen Perspektive zu schaffen. Diese beiden Perspektiven zu kennen, hilft natürlich, wenn es darum geht, philosophische Konzepte auf ihre Anwendbarkeit hin zu überprüfen. Für mich noch wichtiger und in gewisser Weise auch prägend war aber, dass ich gelernt habe, Respekt gegenüber der Praxis zu empfinden, gegenüber dem – eben auch – moralischen Wissen derjenigen Menschen, die tagtäglich das tun, worüber Philosoph:innen nachdenken. Von daher war es auch kein Zufall, dass ich mich in meiner Habilitationsschrift einem rekonstruktiven, von manchen Kritikern als weich bzw. zu weich eingestuften Zugang gewidmet habe.
2018 wurden Sie an der HFPH mit einer Analyse medienethischer Selbstverpflichtungskodizes habilitiert. Geben Sie uns einen kurzen Einblick in die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts.
Was man im Zusammenhang mit meinem Forschungsprojekt vielleicht vorwegschicken sollte, ist, dass es eine bewusste Entscheidung war, als Ausgangspunkt für die Erarbeitung eines normativen Zugangs für die Medienethik die gelebte Praxis heranzuziehen. Mein Anliegen war und ist es – wie ich zuvor schon angedeutet habe –, nicht abgehobene und ein Stück weit sterile Konzepte zu entwickeln, sondern die Alltagsüberzeugungen und das moralische Wissen der Menschen ernst zu nehmen, insbesondere derjenigen Menschen, die in unterschiedlichen Funktionen medial vermittelt kommunizieren.
Daher habe ich meine Aufmerksamkeit zunächst auf die Selbstverpflichtungskodizes bestimmter Berufsgruppen – Journalismus, PR, Werbung etc. –, aber auch von User:innen gerichtet. Die Analyse der einschlägigen nationalen und internationalen Selbstverpflichtungskodizes hat dann zum einen ergeben, dass Werte in der Reflexion der Professionalist:innen insgesamt eine große Rolle spielen. Zum anderen hat sich gezeigt, dass sich aus der Vielzahl an Werten, auf die explizit oder implizit Bezug genommen wird, einige wenige herausarbeiten lassen, die im Wesentlichen abbilden, welche normativen Intentionen die Verfasser:innen der Kodizes hatten. Das sind: Transparenz, Fairness, Respekt, Verantwortung und Kompetenz.
Diese fünf Werte bilden gewissermaßen einen Minimalkonsens und können in der konkreten Entscheidungssituation dabei helfen, durch Abwägen und Argumentieren zu einer gut begründeten, inhaltlich konkreten Antwort zu gelangen. Spannend wäre es nun, eine ähnliche Untersuchung für andere Bereichsethiken – wie etwa Wirtschaft-, Technik-, Umweltethik etc. – durchzuführen, um auf diese Weise eine Vorstellung davon zu bekommen, ob sich neben den spezifischen Werten der einzelnen Lebensbereiche auch allgemeine Werte rekonstruieren lassen, die dann wiederum ein Bindeglied zwischen den verschiedenen Bereichsethiken sein könnten.
In einem Interview mit der Universität Innsbruck haben Sie gesagt, dass Wissenschaftler*innen „die Aufgabe [haben], Forschung greifbar, verständlich und fruchtbar für alle zu machen.“ An welchen Stellen wäre es in der aktuellen Lage wichtig, Philosophie in dieser Weise plastisch zu machen?
Grundsätzlich denke ich, dass die Philosophie in jeder Gesellschaft und in jeder Zeit sehr viel beizutragen hat. In der Situation einer Krise – wie aktuell der Corona-Pandemie – trifft das umso mehr zu. Gerade in aufgeheizten Situationen, in emotional geführten Debatten kann es hilfreich sein, Distanz zu gewinnen und sich beispielsweise erkenntnistheoretische Fragen zu stellen: Woher kommen meine Überzeugungen? Welchen Autoritäten schenke ich Vertrauen? Welche Inhalte können aufgrund welcher Kriterien als Wissen gelten? Außerdem könnte man bei der Logik Anleihe nehmen und fragen, was ein valides Argument ist, ob es versteckte Prämissen gibt, die, solange sie unausgesprochen bleiben, für Verwirrung sorgen. Sprachphilosoph:innen interessieren sich weiters dafür, was Menschen meinen, wenn sie dieses und jenes sagen, und können damit im besten Fall deeskalierend wirken. Auch aus der Philosophiegeschichte kann man lernen, wenn man sich damit auseinandersetzt, wie vergleichbare Krisen in der Vergangenheit bewältigt wurden, welche philosophischen Konzepte sich damals entwickelt und als hilfreich erwiesen haben.
Selbstverständlich findet man aber gerade als Ethikerin tagtäglich Anknüpfungspunkte: Hat jeder Mensch einen unveräußerlichen Wert oder lassen sich Menschenleben ähnlich aufrechnen wie die roten und schwarzen Zahlen im Staatshaushalt? Zählen die Interessen einzelner Personen mehr als die des Kollektivs? Wie viel Transparenz braucht die Kommunikation medizinischer Forschung? Wann führt ein Zuviel an Information zu einer Überforderung der Adressat:innen, wann droht ein Zuwenig Züge der Manipulation anzunehmen? Wie soll man entscheiden, wenn Ressourcen knapp sind? Sind medizinethische Standards wie beispielsweise der des Informed Consent auch anzuwenden, wenn die Entscheidungen von Politikern getroffen werden, wie es z.B. bei Quarantänemaßnahmen der Fall ist? Zu diesen und vielen anderen Fragen können Philosoph:innen Antworten anbieten. Die Frage ist allerdings, ob es uns gelingt, die Antworten so zu formulieren, dass die Menschen außerhalb der philosophischen Hochschulen und Institute sie auch verstehen bzw. in ihre Erfahrungswelt einordnen können. Dass gegenwärtig besonders gerne Virolog:innen angefragt werden, einen Beitrag zur aktuellen Lage zu liefern, ist nicht allzu verwunderlich. Vielleicht hätte man als Philosoph:in aber auch etwas sichtbarer und lauter auftreten können.
Wie wollen Sie die Schwerpunkte Ihrer Arbeit an der HFPH in Forschung, Lehre und Wissenstransfer setzen?
Ich trete die Professur für Medienethik an der Hochschule für Philosophie aus einer sehr angenehmen Position heraus an, nämlich unter der Voraussetzung, dass mein Vorgänger Prof. Dr. Alexander Filipović und vor ihm Prof. em. Dr. Rüdiger Funiok sich über viele Jahre erfolgreich dafür eingesetzt haben, das Fach Medienethik nicht nur in München, sondern allgemein im deutschen Sprachraum als eigenständige wissenschaftliche Disziplin zu etablieren. Der Wahrnehmbarkeit nach außen entspricht ein aktiver und vielversprechender Studierendenkreis auf allen Ebenen des wissenschaftlichen Qualifikationsprozesses. Mein erstes Anliegen wird es daher sein, das weiterzutragen und weiterzuentwickeln, was über die Jahre aufgebaut worden ist.
Darüber hinaus werde ich mich selbstverständlich darum bemühen, neue Forschungsprojekte an die Hochschule zu bringen und damit besonders Nachwuchswissenschaftler:innen zu fördern. In der Forschung werde ich einerseits weiter an einer normativen Fundierung der Medienethik arbeiten, andererseits mich mit den je aktuellen Anwendungsfeldern befassen. Dasselbe gilt für die Lehre, wo ich vermehrt Querbeziehungen zu anderen Bereichsethiken, etwas der Tierethik, herstellen und auch Genderfragen Raum geben möchte. Was schließlich den Wissenstransfer betrifft, könnte ich mir vorstellen, meine Erfahrungen als Science-Slammerin für die Entwicklung von Formaten zu nutzen, die ähnlich unterhaltsam, dafür aber weniger kompetitiv und damit leichter in den Forschungsalltag von Studierenden wie von Dozent:innen zu integrieren sind.
Sie kennen die HFPH aus Ihrer Zeit als Habilitandin. Wie ist Ihr erster Eindruck aus Ihrer neuen Perspektive als Teil der Fakultät?
Als Habilitandin wie auch heute nahm bzw. nehme ich die Hochschule als einen sehr reichen Ort wahr. Reich an unterschiedlichen philosophischen Positionen, an einer Vielzahl an Fächern, vertreten durch ebenso kompetente wie motivierte Dozent:innen. Eine große Stärke des Innsbrucker Instituts für Christliche Philosophie, an dem ich wissenschaftlich groß geworden bin, ist seine Spezialisierung, die Zusammenarbeit von Philosoph:innen, die an ähnlichen Themen interessiert sind. Für mich als Ethikerin stellt aber gerade die Vielfalt der Hochschule für Philosophie eine großartige Bereicherung dar. Denn Ethik lebt davon, möglichst viele Perspektiven einzubeziehen, möglichst viele Stimmen zu hören, sich nie mit einer Antwort zufrieden zu geben.
Ganz besonders freut es mich in diesem Zusammenhang, dass es in München eine ganze Reihe renommierter Wissenschaftler:innen gibt, die in verschiedenen Bereichsethiken forschen. Ein solcher Diskurs ist für das eigene Fach, in meinem Fall die Medienethik, auf jeden Fall ein Gewinn. Er bietet die Chance, von anderen zu lernen und natürlich auch, sich auf das eigene Fach zu konzentrieren. Darauf freue ich mich übrigens ganz besonders, denn gerade während der Habilitation habe ich mich bemüht, mich neben oder trotz meiner Schwerpunktsetzung philosophisch breit aufzustellen. Und auch danach habe ich zumindest in der Lehre immer andere philosophische Fächer mitabgedeckt. Ich möchte nun ungern noch einmal das Wort „Luxus“ in den Mund nehmen; also sagen wir, ich empfinde es als Vergnügen, an einer so gut aufgestellten universitären Einrichtung wie der Hochschule ausschließlich oder in allererster Linie Medienethik betreiben zu dürfen.
Claudia Paganini ist seit 2010 Universitätsassistentin am Institut für Christliche Philosophie der Universität Innsbruck. Nach ihrer Promotion im Jahr 2005 und Stationen als freie Journalistin, Sachbuchautorin und im Pressedienst des Landes Tirol, wurde sie 2018 mit einer Arbeit zum Thema „Entwurf einer rekonstruktiven Medienethik. Analyse und Auswertung internationaler und nationaler Selbstverpflichtungskodizes“ an der HFPH habilitiert. Frau Paganini forscht zu Medienethik, Tierethik, Medizinethik, Human-Animal-Studies sowie Genderfragen. Lehr- und Forschungsaufenthalte führten sie unter anderem nach Athen, Mailand, Zagreb und Limerick.
Science Slams:
"Warum christliche Philosophie?" - Innsbruck 2018
"Töten oder Nicht-Töten, das ist hier die Frage" - Champion Ibk 2020