Karl Rahner SJ – Philosoph und Erneuerer der Theologie

Zur gesellschaftlich-geistigen Situation der katholischen Kirche 18.-20. Jhd. Ein Text von P. Karl Kern SJ.

P. Karl Kern SJ, Copyright: SJ-Bild

Um Karl Rahner zu verstehen, sollten wir zunächst einen kurzen Blick auf die „Großwetterlage“, auf die gesellschaftlich-geistige Situation der katholischen Kirche von Ende des 18. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts werfen. Die katholische Kirche fühlte sich geistig bedroht durch die Aufklärung, institutionell bedroht durch das Staatskirchentum und existentiell bedroht durch die Französische Revolution in ihrer radikalen Phase: Man reagiert danach – seit dem Konkordat mit dem Frankreich Napoleons – auf diese Bedrohungen durch institutionellen Ausbau der Zentralgewalt. Es entwickelt sich im 19. Jahrhundert die bürokratisch durchstrukturierte und theologisch überhöhte Papstkirche.
Die ganze Entwicklung geht einher mit einer geistig-defensiven Abwehrhaltung gegen Aufklärung, moderne Wissenschaft, Religionsfreiheit und Demokratie. Durch den Bund von Thron und Altar werden konservative Werte gesichert. Man gibt sich antiliberal, antisozialistisch, reserviert gegenüber der Welle des Nationalismus und orientiert sich an kleinbürgerlichen, vor allem an bäuerlichen Schichten. Darin liegt sicher auch ein intuitives Gespür für die "Dialektik", die Schattenseiten der Aufklärung, doch insgesamt hat sich die katholische Kirche in einer Sonderwelt eingeigelt. Der Antimodernisteneid, der allen Amtsträgern seit Beginn des 20. Jahrhunderts abverlangt wurde, beleuchtet grell diese grundsätzliche Abwehrhaltung. Ziel war die "versäulte Gesellschaft" in geschlossenen Milieus, also katholische Institutionen in allen Bereichen der Gesellschaft, von der Wiege über Bildung, Sport, Gewerkschaften bis zur Bahre. So ging das bis etwa bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Der Jesuitenorden, von den Mächten des Ancien Regime verboten, zu Beginn des 19. Jahrhunderts neu gegründet, wird zur Speerspitze des Papsttums, zur Avantgarde der Anti-Moderne. Seit dem Kulturkampf war er bis 1917 in Deutschland als Exponent des "Ultramontanismus" verboten.

 

Zur Person Karl Rahner

Karl Rahner wurde am 5. März 1904 in Freiburg geboren. "Ich wuchs in einer – ich möchte sagen – normalen, mittelständischen, christlichen Familie auf.  Mein Vater war – heute sagt man Studienrat, damals hießen sie Badener Professoren. Er war die längste Zeit seines Lebens Professor am Lehrerseminar von Freiburg. Meine Mutter stammt aus einer Wirtsfamilie. ..Und wir waren .. sieben Geschwister."  (Karl Rahner, Erinnerungen, Im Gespräch mit Meinolf Krauss, Innsbruck 2001, S. 19)

Warum genau Rahner Jesuit werden wollte, konnte er im Alter nicht mehr exakt angeben. Das Vorbild seines älteren Bruders Hugo habe seinen Entschluss allenfalls erleichtert; gesprochen haben sie nie darüber, denn: 'Allemannen reden über solche Dinge, auch wenn sie Brüder sind, die sich durchaus gernhaben, nicht sehr viel.'

(Vorgrimler, Rahner verstehen, S. 69)

22.4.1922: Eintritt in den Orden vier Wochen nach dem Abitur. Für die Novizitiatszeitschrift schrieb der Zwanzigjähre den ersten Text, der je von ihm gedruckt wurde, mit dem bezeichnenden Titel 'Warum uns das Beten nottut' (1924). (Vorgrimler, Verstehen, S. 70)

Er schreibt: "Wenn wir nicht beten, bleiben wir hängen an den Erdendingen, werden wir klein wie sie, werden erdrückt von ihnen. Wer sich (aber) Gott naht, dem naht sich Gott (Jak 4,8)." Die auf Gott bezogene Grenzenlosigkeit des menschlichen Geistes wird das beherrschende Thema in Rahners Denken sein.

Seine Ausbildungszeit

1924 – 1927: Juniorat, Philosophiestudium, zunächst in Tisis/Feldkirch und dann in Pullach. Prägend war vor allem das Studium von Kant und Maréchal. Die Ordensoberen „destinieren“ ihn, später einmal Geschichte der Philosophie in Pullach zu dozieren.
1927 – 29: Lateinlehrer im Juniorat, Beginn der Freundschaft mit Delp
1929-33: Theologiestudium in Valkenburg mit Schwergewicht auf spirituelle Theologie. Wegen seiner Ausdauer im Studium der Quellen hatte er den Spitznamen "Holzkopf".
26.7. 32  Priesterweihe durch Kardinal Faulhaber in München, St. Michael
1934 Tertiat in St. Andrä
1934 ging Karl Rahner nach Freiburg, um in Philosophie zu doktorieren. Prägender Lehrer war Martin Heidegger. Die Doktorarbeit "Geist in Welt" wurde am Konkordatslehrstuhl für Philosophie eingereicht und abgelehnt. Sie erschien erst 1939, neu aufgelegt 1957.


Philosophischer Hintergrund

KANT. 18. Jh: Sensualismus oder Rationalismus? Erkennen wir die Außenwelt primär durch die Sinne oder den Verstand? Die eigentlich spannende Frage der Erkenntnis, das ist das epochal Neue bei Kant, liegt nicht auf der Objektebene, sondern auf der Metaebene. Nicht die Erkenntnis von Gegenständen interessiert ihn, sondern unsere "Erkenntnisart" von Gegenständen. Kant stellt die Frage nach den vorgängigen Bedingungen der Möglichkeit bestimmter Erkenntnisweisen.

"Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, sofern diese a priori möglich sein soll, befasst."

In der "Kritik der reinen Vernunft" untersucht Kant die Möglichkeitsbedingungen, also die vorausliegenden und zugrundeliegenden Strukturen, die „a priori“ gegeben sind, d.h. unabhängig von jeglicher Wahrnehmung in Raum und Zeit. Dies wären „a posteriori“ Wahrnehmungen oder „kategoriale“ Wahrnehmungen.

Fazit Kants: Mit der reinen Vernunft stoßen wir nie zum "Ding an sich", zur eigentlichen Realität und zum Absoluten vor. Wohl aber haben müssen wir mit unserer praktischen Vernunft ("Was soll ich tun?") das Absolute postulieren. Sonst ist Moral nicht begründbar. Das ist Inhalt seines zweiten Hauptwerkes, der „Kritik der praktischen Vernunft“. Außerdem gibt es über die ästhetische Vernunft einen Zugang zum Absoluten. Darum geht es in der dritten seiner Kritiken, der „Kritik der Urteilskraft".

HEIDEGGER: Nach den Erschütterungen des ersten Weltkriegs und mitten in der Krise der 20-ger Jahre – setzt er neu bei der Existenzfrage des Menschen (wie Kierkegaard) an und verbindet sie mit der Frage nach dem Sein insgesamt ("Sein und Zeit", 1929).

In der katholischen Theologie des 19. Jahrhunderts wurde die neuzeitliche Philosophie seit der Aufklärung mehr oder weniger abgelehnt und tabuisiert. Alles war Ausdruck von menschlicher Selbstüberhebung, Revolte gegen Gott. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Kant blieb aus. Schließlich hatte er die traditionellen Gottesbeweise zertrümmert. Sein Werk stand auf dem Index der verbotenen Bücher. Der erste katholische Philosoph, der Thomas von Aquin, den Vater der sog. „Neuscholastik“, auf dem Reflexionsniveau Kants rezipierte, war der belgische Jesuit Joseph Maréchal. Rahner erinnert sich: „Im dritten Jahr meines Philosphiestudiums in Pullach las ich mit außerordentlichem Eifer und großer Genauigkeit das fünfte Buch von J. Maréchals ‚Le point de départ de la métaphysique’. ..Während dieser Lektüre, so glaube ich, bin ich zum ersten Mal in einer persönlicheren und mich fesselnden Weise mit Thomas, natürlich vermittelt durch die Maréchal`sche Methode, zusammengekommen.“ (zit.nach Imhof, S.20)

Die große Leistung von Rahner besteht darin, dass er den Grundimpuls neuzeitlichen Denkens, den Ansatz beim Menschen, positiv aufgegriffen, dass er diesen Ansatzpunkt mit der transzendentalen Fragestellung Kants verbunden und auf die Situation des 20. Jahrhunderts – angeregt durch Heideggers Art zu denken – angewendet hat. Rahner hat für die katholische Theologie ein neues Paradigma, einen Systemwechsel eingeleitet.

Die katholische Theologie hatte auf alle Fragen eine klare, rationale Antwort parat, die dann im Gehorsam gegenüber der kirchlichen Autorität angenommen werden musste. Dieses System der Neuscholastik berief sich auf Thomas von Aquin, jedoch nicht auf dem kritischen Denkniveau Kants.

Für Rahner hingegen ist und bleibt Gott als unfassbares Geheimnis der innere Glutkern seines Denkens. Er fragt: Warum und wie kann ein moderner Mensch überhaupt Gott hören? Was ist dafür die Bedingung der Möglichkeit? Wie vollzieht sich die Aufnahme göttlicher Offenbarung im Menschen und zwar so, dass der "Hörer des Wortes" dafür einsteht, es anderen glaubhaft mitteilen zu können? Natürlich haben auch bei ihm Kirche und Lehramt eine wichtige Funktion. Doch Gott bleibt das unumgreifbare Mysterium auch nach der Offenbarung.

Rahner kann mit diesem Ansatz die reale Situation des neuzeitlichen Menschen aufgreifen, er kann z.B. mit dem Atheismus und den modernen Naturwissenschaften ins Gespräch treten. Gleichzeitig kann er in seinem System aufweisen, dass der Mensch als denkendes, fragendes, hoffendes, liebendes Wesen der Freiheit immer schon im Horizont des Unendlichen steht und insofern mit Gott "im Vorgriff" zu tun hat.


Gottgeheimnis Mensch

Der Mensch ist das Wesen der (Selbst)Transzendenz - ein Wesen, das zu sich selbst kommt, indem es sich in Erkenntnis und Freiheit selbst überschreitet – und hat es immer schon mit Gott, dem Woraufhin und Wovonher der Transzendenzbewegung zu tun. So könnte man den Rahnerschen Grundgedanken zusammenfassen. Von daher ist klar: Rahner muss in seinem System beim Menschen, beim Menschen, wie er heute ist, ansetzen.

Ein anderes Zitat (aus dem Grundkurs, S. 85), das prägnant seinen Grundansatz zusammenfasst:

"Der Mensch als geistige Person bejaht implizit in jeder Erkenntnis und jeder Tat als realen Grund das absolute Sein und dieses als Geheimnis. Diese absolute, unumgreifbare Wirklichkeit, die immer der ontologisch sich verschweigende Horizont aller geistigen Begegnung mit Wirklichkeiten ist, ist damit immer auch unendlich verschieden vom begreifenden Subjekt. Sie ist auch verschieden vom einzelnen endlichen Begriffenen. Als solche ist sie in jeder Aussage, in jeder Erkenntnis und in jeder Tat gegeben."

Kurzformel für seine Theologie:  Theologische Anthropologie. Alles kreist um das Gottgeheimnis Mensch. Wie übersetze ich die Botschaft für heute? Wie kann ich den alten Glauben neu sagen? Wie kann ich Gott neu buchstabieren? Was kann ich tun, dass die alte Botschaft heute ankommt?

Das ist Rahners Anliegen. Er ist in diesem Sinn keine spezialisierter Fachtheologe, sondern einer, der nach einem Gesamtentwurf von Theologie für die Jetztzeit fragt, und das nicht in abgehoben akademischer Weise, sondern aus einem seelsorgerlich-pastoralen Anliegen heraus.

Rahner musste einmal zu einem Portrait von ihm ein paar Zeilen schreiben. Die lauten:

„So ein Satz für ein Stammbuch oder Poesiealbum, der von mir erbeten wird, ist mir eigentlich unsympathisch. Ein solcher Satz gibt doch leicht vor, eine Art Quintessenz des Lebens oder des Denkens eines Menschen zu bieten. Aber wer weiß denn diese geheime Summe seiner Wirklichkeit? Wer kann sie in einen Satz zwängen? Wenn der Mensch – jeder – nur von Gott her wirklich begriffen werden kann, Gott aber unbegreiflich ist, dann ist auch der Mensch ein unsagbares Geheimnis, das sich schweigend in liebender Hoffnung Gott anvertrauen soll. Jetzt und in der Stunde des Todes.“


Weitere Biographie (1936-64)

Im Sommer 1936 kam Rahner nach Innsbruck, wo bereits sein älterer Bruder Hugo lehrte. Er reichte dort eine theologische Promotionsschrift ein. Im Wintersemester 1937/38 nahm er seine Lehrtätigkeit auf.

März 38: Der sog. "Anschluss" Österreichs. Die Theologieprofessoren wurden fristlos entlassen. Die Fakultät 1939 aufgehoben, das Haus enteignet. Rahner wurde in Wien Mitarbeiter des dortigen Seelsorgeinstituts. Im Sommer 1944 verbrachte er einen Ferienaufenthalt in Niederbayern. Er kehrte wegen der Kriegswirren nicht nach Wien zurück und arbeitete bis August 1945 in der Seelsorge.

1945-48: Theologiedozent in Pullach am Berchmanskolleg

Ab 1948 wieder ins Innsbruck

Bis 1964 Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte: Er wird weltweit bekannt. Er leistet wissenschaftlich und seelsorgerlich einen schier unermesslichen Arbeitseinsatz.

 

Gotteserfahrung

(zit. Nach Einübung priesterlicher Existenz, Freiburg 1970, S.15-21)

Bei Priesterexerzitien in den 60er Jahren :

„Halten Sie einmal still! Suchen Sie nicht möglichst Vielerlei und möglichst Kompliziertes zu denken. Lassen Sie einmal diese ursprünglicheren Wirklichkeiten des Geistes emporkommen: das Schweigen, die Angst, das unsagbare Verlangen nach Wahrheit, nach Liebe, nach Gemeinsamkeit, nach Gott. Stellen Sie sich der Einsamkeit, der Angst, der Nähe zum Tod.

Lassen Sie solche letzten Grunderfahrungen des Menschen vorkommen, beschwätzen Sie sie nicht, machen Sie darüber keine Theorien, sondern halten Sie diese Grunderfahrungen aus. Dann kann doch so etwas von einem ursprünglichen Wissen um Gott hervortreten. Dann kann man vielleicht darüber nicht viel sagen, dann sieht das, was wir so zunächst von Gott ‚begreifen’, so aus wie das Nichts, wie das Abwesende, wie das Namenlose, wie das gleichsam alles Angebbare und begrifflich Umfassbare, Verschluckende.

...überall dort, wo ein Mensch die Grunderfahrung macht, dass er sich selbst genommen wird; überall dort, wo ein Mensch als Geist in Liebe zur Wahrheit gleichsam an die Grenze zum Absoluten stößt, über das er nicht mehr reden kann, das trägt und nicht getragen wird, zum Absoluten, das da ist, obwohl er es nicht greifen und begreifen kann, das sich, wenn man darüber redet, noch einmal hinter der Rede als ihr Grund verbirgt; überall dort, wo ein Mensch eine Freude erfährt, von der er nicht weiß, wo sie anfängt und wo sie aufhört, die scheinbar keinen Grund und Boden, ja gar keinen Gegenstand mehr zu haben scheint; überall dort, wo ein Mensch eine letzte Treue, man kann nicht sagen, erfasst, sondern von ihr erfasst wird; überall dort, wo der Gegenstand und sein Grund und Horizont und alles, was wir darin sehen, gleichsam ineinander übergehen – überall dort ist eigentlich Gott für den Menschen schon da. Und alles, was er dann über diesen Gott noch sagt, kann immer nur der Verweis auf diese ursprünglichere Erfahrung Gottes sein. …

Dass diese Dinge so platt für uns bleiben, dass diese ursprünglichere, namenlose und unthematische Erfahrung durch unseren Alltagsbetrieb, durch all das, was wir sonst mit Menschen und Dingen zu tun haben, scheinbar ganz verdrängt und verschüttet ist, dass dieses ursprünglichere religiöse Gottesverhältnis sogar durch unser theologisches, aszetisches und frommes Geschwätz und Gerede noch einmal verschüttet werden kann, das beweist zwar, wie sehr wir in einem echteren, religiöseren Leben immer wieder dieses ursprüngliche Verhältnis zu Gott freikämpfen müssen, gleichsam immer wieder ausgraben müssen, aber es beweist gerade, wie ursprünglich ein Verhältnis des Menschen zu Gott ist, und zeigt, wie sehr es auf dieses Eigentliche ankommt. ..“


Warum ich heute ein Christ bin? (1979)

„Ich möchte ein Mensch sein, der frei ist und hoffen kann, der begreift und lebt, dass er selbst seiner Freiheit anvertraut ist, die durch ein Leben hindurch sich selbst vollzieht und endgültig das aus ihm macht, was als der Entwurf eines Menschen ihm vorgegeben ist: ein Mensch der Treue, der Liebe, der Verantwortung. ….Ich entrinne mir nicht und will nicht dieser meiner verantwortlichen Freiheit eines wahren Subjekts entrinnen. Soll diese Überantwortetheit an sich selbst bei mir in einem letzten Protest geschehen oder in einem letzten Ja? ….

Ich nehme mich an. Ich nehme mich an ohne Protest mit all den Bedingtheiten und Zufälligkeiten meiner biologischen und geschichtlichen Existenz,... Dieses Dasein nehme ich an, nehme ich an in Hoffnung..., in der Hoffnung, deren inneres Licht ihre einzige Legitimation ist, in der Hoffnung, dass die Unbegreiflichkeit des Daseins (bei allem nahen Schönen, das darin auch steckt) sich einmal enthüllen wird in ihrem letzten Sinn und dieser endgültig und selig sein wird. Es ist eine totale Hoffnung, … Diese umfassende und bedingungslose Hoffnung will ich haben; ich bekenne mich zu ihr; sie ist meine höchste Möglichkeit und das, was ich als meine eigentliche Lebensaufgabe verantworten muss. …

Die Bewegung des endlichen Geistes auf Gott hin so, dass Gott selber Inhalt und Ziel dieser Bewegung wird, .. muss von Gott selbst getragen sein. Insofern der Christ dieses sein Urvertrauen, weil es faktisch unbedingt ist und Gott selbst will, getragen weiß durch Gott selbst, nennt er diese ihm innerlichste Bewegung seiner Existenz auf Gott hin durch Gott 'Gnade', 'Heiliger Geist' und artikuliert diese eine Bewegung auf die Unmittelbarkeit Gottes hin als Glaube, Hoffnung und Liebe

Alles bisher Gesagte hat nun aber für mich, den Christen, eine geheimnisvolle Synthese gefunden in der Begegnung mit Jesus von Nazaret; eine Synthese,... Diese Synthese ist (mindestens als Angebot an die Freiheit) in jedem Menschen gegeben … Als wen erkennt nun in dieser Synthese der Christ Jesus? ...
Da ist Jesus, ein Mensch, der liebt, der getreu ist bis in den Tod, bei dem das ganze Menschsein, das Leben, das Reden, das Handeln offen ist auf das Geheimnis hin, das er seinen Vater nennt, dem er sich auch dann noch vertrauend übergibt, wenn alles scheitert. Für ihn ist der unauslotbare finstere Abgrund seines Lebens die bergende Hand des Vaters. …Aber dies alles war bei Jesus getragen und überhöht durch die Überzeugung, dass mit ihm, seinem Wort und seiner Person endgültig und unüberholbar die Nähe des 'Reiches Gottes' gegeben sei; d.h., dass Gott sich selber unmittelbar in Liebe und Vergebung siegreich dem Menschen zusage, Gott in Jesus von sich selber her seinen Sieg in der Freiheitsgeschichte der Menschen durchsetze und auch proklamiere und dadurch freilich auch eine neue und unüberholbar radikale Entscheidungssituation für den Menschen gegeben sei, der diese Botschaft hört.

… Wir brauchen dabei Jesus nicht zu einem Übermenschen hochzustilisieren. Er hatte seine Endlichkeiten, auch in seiner Lehre und deren Eigentümlichkeit, weil solches notwendig zu einem wahren Menschen gehört. Aber er war der Mensch, der er schlechthin sein sollte, im Leben und im Tod… ER ist das Wort Gottes an uns, die Antwort auf die eine Frage, die wir selber sind, die nicht nach dem oder jenem mehr fragt, sondern nach allem in einem, nach Gott. ... (Im Weiteren erläutert Rahner die kirchliche Dimension des Christseins.)

Er endet mit folgenden Sätzen:  "Ich finde, Christ sein ist die einfachste Aufgabe, die ganz einfache und darum so schwere leichte Last, wie im Evangelium steht. Wenn man sie trägt, trägt sie einen. Je länger man lebt, umso schwerer und leichter wird sie. Am Ende bleibt das Geheimnis. Es ist aber das Geheimnis Jesu. Man kann verzweifelt, ungeduldig, müde, skeptisch oder bitter werden, weil das Geheimnis so lange nicht als Seligkeit aufgeht. Aber es ist besser, in Geduld zu warten auf den Tag, der keinen Abend mehr kennt."


Kurzformel für das Christentum
Aus Schriften zur Theologie, Bd VII (1966)

Christentum ist das ausdrückliche und gesellschaftlich ("kirchlich") verfasste Bekenntnis dazu, dass das absolute Geheimnis, das in und über unserem Dasein unausweichlich waltet und Gott genannt wird, als vergebend und vergöttlichend sich uns in der Geschichte des freien Geistes mitteilt und dass diese Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus geschichtlich und irreversibel siegreich in Erscheinung tritt.


Fortsetzung Biographie (1964-84)

Im Sommersemester 1964 übernahm Rahner den religionsphilosophischen Lehrstuhl Romano Guardinis in München. ... Als ihm die theologische Fakultät das theologische Promotionsrecht verweigerte und er einen Ruf aus Münster bekam, wechselte er 1967 dorthin. Nach neun Semestern schied Rahner im September 1971 mit 67 Jahren aus der Münsteraner Fakultät aus und zog nach München in den "Unruhestand" um, zunächst ins Schriftstellerhaus in der Zuccalistraße und dann hierher in die Hochschule.

Reizthemen waren die umstrittene Pillenenzyklika "Humanae vitae" von 1968, deren grundsätzlich revidierbaren Charakter er herausstellte. Zum dem Lehrschreiben des Vatikans, welches das Priestertum der Frau ausschloss, betonte er, dass diese Position weder von der inhaltlichen Argumentation noch von der formalen Verbindlichkeit her eine unfehlbare Aussage sei. Nein sagte er zu Hans Küngs Buch von 1970 "Unfehlbar? Eine Anfrage".

Mit den Jahren wurde Rahners Haltung immer kirchenkritischer.

Den Zölibat verteidigt er 1968, weil er die Gefahr einer Verbürgerlichung des Priesters sah, doch stellt er sich ein Jahr später noch einmal der Dringlichkeit der Zölibatsfrage in einem Memorandum, das er an 50 Bischöfe schickt. Am 18. März 1970 kam es bei der Verleihung des Romano Guardini Preises in München zum Eklat. Rahner hatte zuvor sein Memorandum abgeschickt. Nur zwei hatten überhaupt reagiert. Bei der Preisverleihung sprach er über "Freiheit und Manipulation in der Kirche". Dabei brandmarkte er im Zusammenhang mit dem Memorandum zur Zölibatsdiskussion das Versagen der "Amtskirche"..,

Rahner wollte vorwärts gehen und sah soviel Rückschritt. Er sprach von der „winterlichen Kirche“. 1972 legte er seine kirchenkritischen Vorschläge in dem Büchlein "Strukturwandel in der Kirche" vor. 1974 verließ er die Internationale Theologenkommission. 1976 erscheint der „Grundkurs des Glaubens“, der keine leichte Kost ist. Ordenspolitisch aktiv wurde Rahner nochmals Anfang der achziger Jahre, als Johannes Paul II. nach einem Schlaganfall des Generaloberen Arrupe an den Satzungen des Ordens vorbei einen Delegaten für die Gesellschaft Jesu einsetzte. Die Jesuiten waren dem Papst aus Polen nicht papsttreu genug. Rahner stellte das Recht der Theologie heraus, auch am Lehramt vorbei Aussagen zu formulieren. 1981 siedelt Rahner von München nach Innsbruck über. 1984 wird Rahners 80. Geburtstag gefeiert, zunächst am 11. und 12. Februar in seiner Heimatstadt Freiburg. Den eigentlichen Geburtstagstermin feierte man am 5. März in Innsbruck. Nach dieser anstrengenden Zeit des Feierns kam für den 80-Jährigen schnell die Zeit des endgültigen Abschieds. Ab dem 9. März verbrachte er drei Wochen in einem Sanatorium bei Innsbruck. Doch sein Zustand verschlechterte sich. Am 29. März brachte man ihn in die Uniklinik Innsbruck, am nächsten Tag auf die Intensivstation. Er starb am 30. März 1984 um 23.26 Uhr.

Beim Requiem sagte der damalige Provinzial Alfons Klein, der Karl Rahner von seiner Studienzeit her gut kannte und der selber ein großer Seelsorger war, sehr treffend: „Wie Ignatius, so war auch Karl Rahner mit seiner ganzen Existenz ausgerichtet und ausgespannt auf den ‚deus semper maior‘, auf den je größeren Gott und seinen Dienst. Dies bewahrte ihn davor, nichts mit Gott zu verwechseln, auch nicht die Kirche; sein ehrfürchtiges, anbetendes Schweigen gegenüber der Unbegreiflichkeit Gottes, den er immer als uns zwar umfassendes, aber unauslotbares Geheimnis bekannte, bewahrte ihn davor – Gott sei Dank  , Gott zu einer handhabbaren Formel zu machen, die es uns ermöglicht, alles in den Griff zu bekommen, … oder genau zu wissen, wer er ist, was er denkt und will. Diese Ehrfurcht hatte Karl Rahner auch vor dem Geheimnis des Menschen. Er gab den vom Leben schwer Geprüften, den Ringenden, Zweifelnden und Verzweifelnden nie beleidigend billige, wenn auch religiöse, respektlose Antworten auf ihre Not und auf ihre Fragen … Deshalb war er ein echter Weggefährte, der andere zum Glauben führen konnte, einer, den Suchende und Leidende ernst nahmen, weil er sie nicht im Namen irgendwelcher Lehrsätze oder auch dogmatischer Prinzipien verurteilte.“

 

Erfahrungen eines katholischen Theologen (12.2.1984)

„Aber ich will nur noch von einer Erfahrung etwas zu sagen versuchen, von einer Erfahrung, die quer zu allem bisher Berichteten liegt und darum mit diesen nicht mitgezählt werden kann, von der Erfahrung der Erwartung des »Kommenden«.

Wenn wir als Christen das Ewige Leben bekennen, das uns zuteil werden soll, ist diese Erwartung des Kommenden zunächst keine besonders seltsame Sache. Gewöhnlich spricht man ja mit einem gewissen salbungsvollen Pathos über die Hoffnung des Ewigen Lebens und fern sei mir, so etwas zu tadeln, wenn es ehrlich gemeint ist. Aber mich selber überkommt es seltsam, wenn ich so reden höre. Mir will scheinen, dass die Vorstellungsschemen, mit denen man sich das Ewige Leben zu verdeutlichen sucht, meist wenig zur radikalen Zäsur passen, die doch mit dem Tod gegeben ist. Man denkt sich das Ewige Leben, das man schon seltsam als »jenseitig« und »nach« dem Tod weitergehend bezeichnet, zu sehr ausstaffiert mit Wirklichkeiten, die uns hier vertraut sind als Weiterleben, als Begegnung mit denen, die uns hier nahe waren, als Freude und Friede, als Gastmahl und Jubel und all das und ähnliches als nie aufhörend und weitergehend.

Ich fürchte, die radikale Unbegreiflichkeit dessen, was mit Ewigem Leben wirklich gemeint ist, wird verharmlost und was wir unmittelbare Gottesschau in diesem Ewigen Leben nennen, wird herabgestuft zu einer erfreulichen Beschäftigung neben anderen, die dieses Leben erfüllen; die unsagbare Ungeheuerlichkeit, dass die absolute Gottheit selber nackt und bloß in unsere enge Kreatürlichkeit hineinstürzt, wird nicht echt wahrgenommen. Ich gestehe, dass es mir eine quälende, nicht bewältigte Aufgabe des Theologen von heute zu sein scheint, ein besseres Vorstellungsmodell für dieses Ewige Leben zu entdecken, das diese genannten Verharmlosungen von vornherein ausschließt. Aber wie? Aber wie?

Wenn die Engel des Todes all den nichtigen Müll, den wir unsere Geschichte nennen, aus den Räumen unseres Geistes hinausgeschafft haben (obwohl natürlich die wahre Essenz der getanen Freiheit bleiben wird), wenn alle Sterne unsere Ideale, mit denen wir selber aus eigener Anmaßung den Himmel unserer Existenz drapiert hatten, verglüht und erloschen sind, wenn der Tod eine ungeheuerlich schweigende Leere errichtet hat, und wir diese glaubend und hoffend als unser wahres Wesen schweigend angenommen haben, wenn dann unser bisheriges, noch so langes Leben nur als eine einzige kurze Explosion unserer Freiheit erscheint, die uns wie in Zeitlupe gedehnt vorkam, eine Explosion, in der sich Frage in Antwort, Möglichkeit in Wirklichkeit, Zeit in Ewigkeit, angebotene in getane Freiheit umsetzte, und wenn sich dann in einem ungeheuren Schrecken eines unsagbaren Jubels zeigt, dass diese ungeheure schweigende Leere, die wir als Tod empfinden, in Wahrheit erfüllt ist von dem Urgeheimnis, das wir Gott nennen, von seinem reinen Licht und seiner alles nehmenden und alles schenkenden Liebe, und wenn uns dann auch noch aus diesem weiselosen Geheimnis doch das Antlitz Jesu, des Gebenedeiten erscheint und uns anblickt, und diese Konkretheit die göttliche Überbietung all unserer wahren Annahme der Unbegreiflichkeit des weiselosen Gottes ist, dann, dann so ungefähr möchte ich nicht eigentlich beschreiben, was kommt, aber doch stammelnd andeuten, wie einer vorläufig das Kommende erwarten kann, indem er den Untergang des Todes selber schon als Aufgang dessen erfährt, was kommt.

80 Jahre sind eine lange Zeit. Für jeden aber ist die Lebenszeit, die ihm zugemessen ist, der kurze Augenblick, in dem wird, was sein soll.

 

(Hören wir Rahner selbst, wie er "Transzendenzerfahrung" umreißt : (Schriften XII, 590)

"Transzendenzerfahrung besteht darin, dass Erkenntnis und Freiheit des Menschen immer schon über den einzelnen Gegenstand der inneren und äußeren Erfahrung hinausgreifen, dass dieser Vorgriff die Bedingung der Möglichkeit gegenständlicher Erkenntnis und Freiheitstat ist, dass er über jeden angebbaren Gegenstand hinaus schlechthin unbegrenzt ist, weil jede denkbare Begrenzung, indem sie gedacht wird, schon wieder überschritten ist. Insofern die Erfahrung der Transzendentalität des Menschen sich wirklich setzt, sich durch ihr Woraufhin getragen erfährt und weiß, … kann dieses Woraufhin der Transzendenz nur als die unendliche, unumfassbare, radikal Geheimnis bleibende Wirklichkeit, als Gott gedacht werden. Dieses Woraufhin als unumfassbares Geheimnis ist ... wirklich die Eröffnung der Transzendenzbewegung.")