Sinn und Zweck der Philosophie war für die Antike sehr klar, nämlich „das gute Leben“. Die Philosophie stellt sich damit der Menschheitsfrage nach dem Glück. Dabei stößt philosophisches Nachdenken an die Grenzen von Raum und Zeit, an die Grenzen des Wissbaren. Sie kann am Ende nur die „Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ (Max Horckheimer) propagieren. Biblische Theologie dagegen sagt: Der weltjenseitige Gott hat sich geäußert. Er hat sich geoffenbart in der Schöpfung und durch seine lebendige Stimme, die Einzelne gepackt und ergriffen hat.
„Die Sehnsucht Gottes ist der Mensch“ (Augustinus). Eins zu sein mit Gott, ist das wahre Glück. So die Botschaft der ganzen Bibel. Unsere Erfahrungswelt ist jedoch von schrecklichem Leid durchzogen und viele Menschen sind unglücklich. Die Bibel antwortet auf diese Diskrepanz, indem sich die Hoffnung wie ein roter Faden durch alle Schriften zieht. Kierkegaard umschreibt „Hoffnung“ mit „Leiden am Wirklichen und Leidenschaft für das Mögliche“. Das wichtigste Wort dieser Kurzformel ist der verbindende Partikel „und“. Dieses „und“ schafft die Balance zwischen harter irdischer Realität und einer Verheißung, die über die Erde hinausreicht. Ein solcher Balanceakt kann nur aus Glauben gelingen. Wenn ich sage „ich glaube“, dann gebe ich mein Herz in die Hand Gottes (lat. „cor do“).
In uns allen steckt eine tiefe kreatürliche Angst, die in Verzweiflung enden kann. Zugleich tragen wir in uns eine tiefe Sehnsucht nach dem vor uns liegenden Paradies. Die Kluft zwischen beiden überbrückt jenes Gottvertrauen, das uns Jesus vorgelebt hat – bis in den Tod. Weihnachten lebt vom „Wunder der Natalität“, vom „Wunder eines neuen Anfangs“ (Hannah Arendt). Das Johannesevangelium hat dieses Geheimnis in die provokative Kurzformel gefasst: „Das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14). In vergänglichem „Fleisch“, in einem sterblichen Menschen, hat sich der ewige Gott ausgesprochen. Die Begegnung mit dem lebendigen Leib Jesu, seinen Worten, seinen Gesten, seinen Augen, seiner Haut und seinen Gliedmaßen ist das Urdatum des Christentums (vgl. 1 Joh, 1-3). Das zarte „Fleisch“ des Babys und der geschundene Leib des Gekreuzigten sind Offenbarung Gottes. Die Spannung zwischen diesen beiden Erlösungsbildern wird überbrückt durch die Erinnerung der Augenzeugen an den irdischen Jesus und durch das überwältigende Erlebnis seiner Auferstehung.
Alles wahrhaft Menschliche ist durch die Menschwerdung Gottes geheiligt. Das war in der Antike das radikal Neue. Die griechische Götterwelt war sehr weise aufgebaut: Alle wichtigen Lebensbereiche waren durch göttliche Gestalten und Kräfte abgedeckt. Doch diese Götter tauchten immer nur als Gäste kurz auf dieser Erde auf und zogen sich in ewiger Heiterkeit wieder auf ihren Olymp zurück. Die Christen jedoch verkündeten einen Gott, der die ganze Breite und Spannung des Menschlichen mit ihnen geteilt hatte – bis zum bitteren Tod. Der Christusglaube, der den biblischen Monotheismus und die jüdische Nachbarschaftsethik integrierte und universalisierte, war das „Erfolgsrezept“ des frühen Christentums.
Der bedeutendste philosophische Kopf der Bibel ist Kohelet („Versammlungsredner“), vermutlich ein Gelehrter am Tempel zu Jerusalem während der ptolemäischen Zeit (250-200 v.Chr.). Auch er stellt sich der ewigen Menschheitsfrage nach dem Glück. Dabei schlüpft er zunächst in die Rolle eines sagenhaft reichen und mächtigen Königs, der sich alles leisten kann. Doch dieser König endet in der Verzweiflung. Die Welt des „Habens“ führt nicht zum Glück. Nicht einmal theologisch-schlüssiges Wissen oder die eigenen Kinder garantieren wahre Lebenserfüllung. Alles erweist sich bei genauerem Hinsehen als „Windhauch“. Diesem radikalen Denker dämmert mit der Zeit: Glück ist ein Geschenk aus der Hand Gottes (Koh 2,24). Das Vertrauen auf den unergründlichen Gott inmitten aller Dunkelheiten und Widrigkeiten des Lebens ist für ihn die Summe aller Weisheit. So findet er zu einem „Carpe diem“-Lebensentwurf aus der Kraft der Ehrfurcht vor Gott.
Ich wünsche Ihnen in unseren unsicheren Zeiten das Vertrauen auf jenen Gott, der sich in Jesus als Mensch unter Menschen gezeigt hat. Als jetzt schon mit Christus Auferstandene können auch wir im Neuen Jahr trotz allem Leiden am Wirklichen den Weg der Leidenschaft für das Mögliche in Hoffnung gehen.
Karl Kern SJ, Fundraisingbeauftragter der Hochschule für Philosophie
Zur Person:
Pater Karl Kern SJ trat 1968 in den Jesuitenorden ein und wurde 1976 zum Priester geweiht. Er hat als Hochschulseelsorger und Gymnasiallehrer gearbeitet. Ab 1996 hat er in Nürnberg die Cityseelsorge in der "Offenen Kirche St. Klara" aufgebaut. Von 2010 bis 2022 war er Kirchenrektor der Jesuitenkirche St. Michael in München. Seitdem ist er als Seelsorger in Nürnberg sowie für das Fundraising der Hochschule für Philosophie in München tätig.