Pfingsten – Fest des Heiligen Geistes! Den meisten Christen dürfte das noch geläufig sein. Die Geschichte von der stürmischen Herabkunft des Geistes (Apg 2,1-13) werden wohl nur regelmäßige Kirchgänger erinnern. In der Gesellschaft ist der Inhalt des Festes vergessen. Pfingsten – heute ein Fest der Kurzurlaube! Doch auch diekirchlichen Insider fragen: Wer ist eigentlich dieser Heilige Geist? Bleibt er nicht ein unbekanntes Wesen? Wie kann man sich eine solch nebulöse Größe vorstellen? Wie gar den göttlichen Geist erfahren?
Mit Geist meinen wir gewöhnlich unseren menschlichen Verstand. Der zeichnet sich dadurch aus, dass wir Dinge begreifen und dann weiterdenken. „Geist“ markiert einen denkerischen Prozess dauernden Überschreitens. „Heilig“ dagegen ist ein Attribut, das nur Gott zukommt. Der „Heilige Geist“ ist demnach von vornherein eine größere Kraft, die quasi von außen kommt und sich mit unserem Geist verbindet. „Gheis“ steht im Indogermanischen für „erschaudern, ergriffen sein“. Glaube ist nach Paul Tillich das „Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht“. Diese Spur führt weiter.
Intuition und das Wunder
der Verwandlung
Dabei soll uns ein Gang durch das Johannesevangelium leiten. Ein erster Hinweis: Johannes der Täufer sieht Jesus, einen ihm bisher Unbekannten, auf sich zukommen und spürt mit intuitiver Gewissheit: Hier begegnet mir ein vom Geist Gottes erfüllter Mensch! (Joh 1,29-34) Der Täufer erkennt visionär das Wesen seines Gegenübers. Er folgt damit seinem Gespür für eine Dimension, die über äußerlich Fassbares hinausgeht.
Das geht uns allen so: Auch wir benötigen diesen Spürsinn bei alltäglichen Entscheidungen bis hin zu Lebensentscheidungen. So wäre z.B. „Liebe auf den ersten Blick“ der intuitiven Schau des Johannes vergleichbar. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner beschreibbaren Attribute. Wer in der Welt des Messbaren und Machbaren verhaftet bleibt, übersieht die umfassendere Dimension der Wirklichkeit. Zum Menschsein gehört, dass wir existentiell über uns selbst hinausgehen: auf die Wirklichkeit, auf das Du des anderen zu. Dabei müssen sich Verstand und Intuition verbinden.
In dieser Bewegung des Überschreitens wird der Geist Gottes miterfahren. Er ist nie zu fassen, er umweht uns wie Wind. Im dritten Kapitel des Johannesevangeliums macht Jesus den alten jüdischen Ratsherrn Nikodemus auf diese geheimnisvolle Wirkung des Geistes aufmerksam (Joh 3,1-10). Er lädt den „Lehrer Israels“ zu einem Transformationsprozess ein. Doch das Gespräch zwischen den beiden versandet. Menschliches Wissen allein – das gilt auch für religiöses Wissen – blockiert die Dynamik des Geistes.
Dem Heiligen Geist trauen heißt: sich auf Neues, Unbekanntes, auf Unendliches einlassen. Nur wer den Sprung aus sich selbst heraus wagt, kommt in verwandelter Form bei sich an. Unser menschlicher Geist sollte – und das wäre Glaube – mit der unfassbaren Kraft göttlichen Geistes zusammenwirken! Wer das tut, erfährt das erfrischende Wunder der Verwandlung.
Im Innersten gepackt
und kreativ
Was dem alten Nikodemus verschlossen blieb, wird einer namentlich nicht genannten samaritischen Frau zuteil: eine Begegnung mit Jesus, die sie innerlich neu werden lässt (Joh 4,1-42). Am Jakobsbrunnen entwickelt sich ein Dialog, der über die materiellen (Wasser zum Trinken) hin zu den emotionalen Bedürfnissen (5 Männer) fortschreitet, um schließlich vorzustoßen zur umfassenden Sehnsucht nach Gott. Sowohl die Frau wie auch Jesus selbst können sich gegenseitig ihr Innerstes mitteilen. Durch das Gespräch mit dem Gesandten Gottes findet die Frau einen neuen, existentiellen Zugang zu Gott – als Resonanz auf ihre Lebensgeschichte. Von dieser umwerfenden Erfahrung muss sie ihren Landsleuten künden. Sie gibt Zeugnis aus dem „Geist“ und der „Wahrheit“ ihres eigenen Lebens. Sie lädt andere in Freiheit ein, den Geistträger Jesus aufzusuchen, um ebenfalls diese umwandelnde Erfahrung zu machen.
Das Grundmuster dieser Geschichte ist aktuell bis heute: Glaube wächst aus urpersönlicher Erfahrung. Angestoßen wird der Glaubensprozess oft durch Begegnungen, aus denen man als neuer Mensch hervorgeht. Resonanzboden für die Erfahrung des Geistes ist unsere innerste Sehnsucht, die es aufzuspüren und der es täglich zu folgen gilt. Der verbreitete Weg der Sucht macht krank („siech“). Der lange, oft mühsame Weg der Sehnsucht führt zu innerer Ganzheit, die uns aufblühen lässt.
Beim Laubhüttenfest in Jerusalem kommt Jesus auf diesen inneren Lebensquell zurück: Wer mit seinem Lebensdurst zu ihm kommt und an ihn glaubt, wird selbst zu einem Menschen, aus dem der Geist hervorsprudelt (Joh 7,37-39). Er verheißt den Glaubenden eine schier „unermessliche“ (Joh 3,34) Kreativität und Kraft. Vielleicht ist es höchstes irdisches Glück, ein schöpferischer Mensch zu sein. Das gilt nicht nur für Künstlerinnen oder Wissenschaftler. Kreativ „Ja“ sagen zum Leben, zu uns selbst und unseren Mitmenschen, ist die Zauberformel erfüllten Lebens. Dem Heiligen Geist zu trauen, gibt uns den Mut zu solch umfassender Bejahung. Unglaube ist ein unfruchtbares Nein, das uns die Fülle der Wirklichkeit verschließt.
Der Tod Jesu und
das neue Gebot der Liebe
Der Tod Jesu ist für unsere Suche nach dem Geist eine zentrale Szene. Damit, dass Jesus seine Mutter dem Lieblingsjünger als seinem Stellvertreter anvertraut und von dem bitteren Essig – ein Symbol für das Bittere seines Lebens – gekostet hat, hat er „alles vollbracht“ (Joh 19,28-30). „Und er neigte das Haupt und übergab den Geist.“ „Übergeben“ hat eine dreifache Dimension: Er haucht seinen Geist aus, er stirbt. Er übergibt ihn dem Vater, er kehrt heim. Und er übergibt im Sterben den Geist an seine Gemeinde, die von Maria und dem Lieblingsjünger repräsentiert wird.
Schon im Abendmahlssaal hatte er den Jüngern sein Vermächtnis anvertraut: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, sollt auch ihr einander lieben!“ (Joh 13,34). Er hinterlässt den Seinen nicht das traditionelle Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe, sondern die gegenseitige Liebe als „neues Gebot“. Sein Leben, Sterben und Lieben war das unüberbietbare Zeichen von Gottes Liebe. Diesem Beispiel kreativ zu folgen, umfasst göttliche und menschliche Liebe. Christsein heißt: ein „anderer Christus“ (Cyprian) werden! Menschliche Liebe bis zur Hingabe des Lebens zeugt von einer umfassenden Liebe, die aus Gott kommt. Gelebte Liebe ist somit die Hochform von Geisterfahrung. “Wer es erfassen kann, der erfasse es.“ (Mt 19,12), würde Jesus dazu sagen.
Der göttliche Anhauch,
der Geist als Stellvertreter Jesu
Doch auch der „Begeisterte“ bleibt ein Mensch – den Wechselfällen und Ängsten des Lebens ausgesetzt. Johannes beschreibt das am Abend des Auferstehungstages: Die engsten Anhänger Jesu sind in ihrer Angst eingeschlossen. Doch der Auferstandene tritt geheimnisvoll durch verschlossene Türen ein, geht auf die Seinen zu und haucht jeden an – die gleiche Geste, mit der Gott am Anfang der Schöpfung dem Menschen das Leben einhauchte (Joh 20,19-24). Ungeahnte Freude durchströmt die Jünger. Sie gewinnen den Mut zu einer neuen Lebensmission.
Jesus hatte schon beim Abschied das Wiedersehen in veränderter Gestalt angekündigt (Joh 13-16). Diese Wiederbegegnung würde alle Traurigkeit in Freude verwandeln! Er verheißt das Kommen des „Parakleten“, der ihn nach Ostern vertreten wird. „Paraklet“ ist bei Johannes eine andere Bezeichnung für den Geist. Dabei sind drei Bedeutungsebenen zu unterscheiden: Wörtlich heißt „Parakletos“ der „Herbeigerufene“. Nur in dauernd gepflegtem Rufen nach Gott entsteht eine Beziehung zu ihm, dem Ursprung und Ziel unseres Daseins! Geisterfahrung braucht die Stille, das Beten, die lebenslange Ausrichtung auf das Geheimnis Gottes! „Paraklet“ im übertragenen Sinn ist der „Anwalt“, der vor Gericht für einen Angeklagten spricht. Wir alle brauchen Fürsprecher und Mutmacher im Leben, besonders dann, wenn unser eigenes Herz uns anklagt. Schließlich heißt das Verb „parakalein“ „trösten“. Unerwarteter Trost in schweren Lebenslagen kann zur tiefsten Geisterfahrung werden.
Der stärkste Einwand gegen den Glauben ist jedoch das unendliche Leid der Welt. Das treibt den Apostel Thomas um, der bei der österlichen Erscheinung Jesu nicht dabei war. Für ihn ist in den Wunden Jesu alles ungerechtfertigte Leid einbeschlossen. Deshalb will er den Verwundeten „sehen“, um glauben zu können. In der Begegnung mit dem Auferstandenen erkennt er: Auch die Wunden gehören zur Auferstehungswirklichkeit (Joh 20,24-29). Das ist eine paradoxe, schier unglaubliche Geisterfahrung! Da versagen alle Worte! Nur Menschen, die trotz furchtbaren Geschicks Hoffende und Liebende bleiben, können davon Zeugnis geben. Hoffnung als „Leiden am Wirklichen und Leidenschaft für das Mögliche“ (Kierkegaard) lässt auch heute den „großen Unbekannten“ aufblitzen – als Geist einer Zukunft, die allein dem Gott unendlicher Liebe gehört.