„Es sollen einmal andere besser und glücklicher leben dürfen, weil wir gestorben sind.“
– gleich drei Mal wurde diese Zeile Alfred Delps SJ vom Januar 1945 am 02.02.2025 zitiert. Sie zeigt damit die Bedeutung dieses großen Zeugens für das 21. Jahrhundert.
Der Gedenkakt, den die Hochschule für Philosophie München (HFPH) am Sonntag, den 02.02.2025, in der Jesuitenkirche St. Michael und der Aula in der Kaulbachstraße gefeiert hat, stand ganz im Zeichen der Frage, was uns das Zeugnis von Alfred Delp SJ heute sagen kann.
Alfred Delp SJ schrieb diese Zeilen in höchster Bedrängnis – nachdem der Volksgerichtshof des nationalsozialistischen Unrechtsregimes ihn am 11. Januar 1945 zum Tode verurteilte, nachdem er zuvor das Angebot abgelehnt hatte, aus dem Jesuitenorden auszutreten.
80 Jahre später blicken wir als Hochschulgemeinschaft angesichts der wachsenden Polarisierung und Sorge um die Stabilität unseres demokratischen Rechtsstaates auf diese Zeilen – verbunden mit der Frage, wie wir angemessen für Demokratie, Menschenrechte und ein Gemeinwesen eintreten können, in der alle in Würde und Freiheit zusammenleben können.
Der Gedenkakt begann mit einer feierlichen Messe in der Jesuitenkirchen St. Michael – zelebriert von Reinhard Kardinal Marx. In seiner Predigt kam er immer wieder auf Freiheit als ein Grundmoment des Zeugnisses von Alfred Delp SJ zu sprechen. Freiheit bestehe, so der Kardinal, nicht in der Macht, den anderen zu unterwerfen. Sie begründe sich vielmehr in der Hingabe für die Würde des anderen und die Freiheit aller, was bei Delp notwendig mit einer Rückbindung an seinen Herrgott verbunden war.
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Viele Teile unserer Hochschulfamilie haben zum Gelingen dieser Messe beigetragen – namentlich für alle genannt seien hier P. Provinzial Thomas Hollweck SJ, der Kirchenrektor von St. Michael, P. Martin Stark SJ, und unsere Campus Ministry, Sr. Britta Müller-Schauenburg CJ, mit den Studierenden Charlotte Forst, Nikolas Mähner, Johannes Rensing und Julius Püttner. Die Rheinberger Messe in f-Moll war die ideale Rahmung.
In der vollbesetzten Aula der HFPH führte unser Alumnus und Redaktionsleiter des ZDF-„heute journal“, Dr. Stefan Leifert, in einer bemerkenswerten Verbindung von Professionalität, Charme und Verbundenheit durch die Gedenkveranstaltung, die ganz unter dem Zeichen des Einflusses von Alfred Delp SJ für das Hier und Heute stand.
In ihrem engagierten Grußwort markierte die Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Prof. Dr. Ursula Münch, gleich zu Beginn die Richtung für die weiteren Überlegungen:
„Das heutige Gedenken an Pater Alfred Delp ist mehr als ein Akt der Erinnerung. Es steht auch für unsere gemeinsame Zukunft.“
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Die Vision Alfred Delps SJ einer gemeinsamen Zukunft in Würde und Freiheit, müsse uns auch heute Ansporn sein, für unseren demokratischen Verfassungsstaat mit ganzer Energie einzutreten, schloss sie ihre Ausführungen.
Diesen Gedanken griff auch Reinhard Kardinal Marx in seinem Grußwort auf: Delp habe in Tat und Wort erkannt, dass die Ideale der Aufklärung wie Freiheit, Menschenwürde und Demokratie verwundbar seien und der Rückbindung an das dem Menschen Unverfügbare bedürfe, um resilienter gegenüber ideologischen Verkürzungen und autoritären Verführungen zu sein. Daraus erwachse die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung aufklärerischen Denkens, was er der HFPH als Auftrag ins Stammbuch schreiben wolle.
Den Festvortrag hielt der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Stephan Harbarth, der in einem Referat den Lebensweg von Alfred Delp SJ und sein Eintreten für Demokratie und Menschenrechte mit der Entwicklung des demokratischen Deutschlands von der Urverfassung der Paulskirche über einen steinigen Weg hin zum Grundgesetz der Bundesrepublik verglich. Letzteres habe sich seit 1949 als zukunftsorientiert erwiesen, war aber von Anfang immer wieder Anfechtungen ausgesetzt.
Zwei mahnende Schlussfolgerungen zog Prof. Harbarth aus dieser Standortbestimmung: Die gemeinsame Arbeit am Zusammenhalt unserer Gesellschaft und Verantwortung jeder einzelnen Bürgerin und jedes einzelnen Bürgers seien zwei wesentliche Lehren unter vielen anderen Anknüpfungspunkten aus dem Leben und Sterben von Pater Delp für das 21. Jahrhundert.
Prof. Harbarth schloss mit Rekurs auf den anfangs zitierten Brief von Alfred Delp SJ:
„Wir sollten diese Worte nicht nur als Ausdruck einer vagen Hoffnung oder eines unverbindlichen Wunsches des zum Tode Verurteilten verstehen, sondern vielmehr als klaren Handlungsauftrag, die Werte der Menschenwürde, der Grundrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit zu bewahren, zu schützen und gegebenenfalls auch unter persönlichen Opfern – und seien sie im Vergleich zu seinem auch noch so gering – zu verteidigen.“
Nach dem Festvortrag schloss sich ein Podiumsgespräch mit Prof. Harbarth, Frau Veronika Hilzensauer (Promovierende), Frau Laura Silvestro (Studierende) und P. Klaus Mertes SJ (Alumnus) an.
Frau Silvestro unterstrich die Bedeutung der HFPH als einen Ort des Dialogs und der Begegnung auf Augenhöhe. Denn gerade in Zeiten der Polarisierung bedürfe es gelebter Zivilcourage. Frau Hilzensauer verwies während des Podiums darauf, dass sie viele junge Menschen erlebe, die sich von der Gesellschaft abgehängt fühlten. Gefahren der Spaltung und Orte des Austauschs beleuchten dabei paradigmatisch die Herausforderung unserer Zeit.
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Klaus Mertes SJ wendete dann den Blick noch einmal auf seinen Mitbruder Alfred Delp SJ – man dürfe bei allem Fokus auf den Helden Delp nicht übersehen, dass auch dieser eine Geschichte habe. Diese Geschichte sei, so P. Mertes, nicht einfach schwarz oder weiß, sondern Leben vollziehe sich auch in Grautönen. Die Haltung Alfred Delps SJ sei so auch aus seinem eigenen Leben herausgewachsen.
Im Rückblick nimmt der Präsident der Hochschule für Philosophie München, Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher, genau diesen Gedanken auf:
„An unserer Hochschule sollen junge Menschen als Personen wachsen lernen und wachsen dürfen – in Freiheit und im Dialog auf Augenhöhe. Gerade deswegen: Das Zeugnis von Alfred Delp SJ ist uns Auftrag, Ansporn und Ermutigung zugleich – das haben die Beiträge des Gedenktages mehr als deutlich gezeigt.“
— Dr. Ludwig Jaskolla
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Interview mit P. Karl Kern SJ und Sr. Britta Müller-Schauenburg CJ
Wir haben auch mit P. Karl Kern SJ und Sr. Britta Müller-Schauenburg CJ nach dem Gedenkakt über die Hochschule, Alfred Delp SJ und sein Vermächtnis für das 21. Jahrhundert gesprochen:
„Food for thought“ – so könnte man den Gedenkakt beschreiben. Welche neuen Erkenntnisse nehmen Sie aus den Gesprächen mit?
Britta Müller-Schauenburg CJ: Ich greife nur einen heraus, der nicht neu war, sondern mir nur neu zu Bewusstsein kam, aus dem Vortrag von Prof. Dr. Stephan Harbarth: Am Anfang der Präambel des Grundgesetzes steht Gott im Singular, aber nicht der Mensch: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…:“. Die Art, wie Harbarth darauf hinwies, hat mich angerührt und angeregt. Es geht um die Verantwortung vor den Menschen, den vielen, konkreten, verschiedenen, allen – auch vor denen, die gerade „dagegen“ sind. Nicht um einen bestimmten Typus, eine bestimmte Nation. Und nicht in Überheblichkeit – im Gegenteil, das Subjekt dieser Worte war moralisch ganz am Boden. Und es übernahm dafür Verantwortung „vor den Menschen“. Im Festsaal saßen wir ebenfalls in dieser Weise zusammen: Ich vermute, Wähler und Mitglieder aller Parteien waren vertreten. Ganz verschiedene Menschen waren da. Und als solche haben wir ein Gespräch geführt, in dem Argumente zählten. Die Bedeutung des Plurals an so zentraler Stelle im Grundgesetz ist so eine Erkenntnis, die mir neu präsent wurde.
Karl Kern SJ: Prof. Harbarth hat anerkennend auf die vielen demonstrierenden Menschen in Israel hingewiesen, die ein Unterlaufen der Verfassung durch eine sog. „Rechtsreform“ (bisher) verhindert haben. Fazit: Es braucht engagierte Menschen, die ein Rechtssystem retten und hochhalten. Dafür steht auch Alfred Delp: Er betonte immer wieder die Verantwortung des Einzelnen im Geschichtsverlauf, aber er hat auch deutlich gesehen, dass man im Ernstfall unter die Räder der Geschichte gerät und als Leidender Zeugnis ablegen muss.
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Sie haben in den vergangenen Wochen viel mit den Studierenden zum Zeugnis von Alfred Delp SJ nachgedacht und diskutiert. Wo glauben Sie, kann er heute junge Menschen begeistern?
Britta Müller-Schauenburg CJ: Die Frage ist gut! Delp hat zwar einen festen Sitz in den Herzen der zwischen 1940 und 1965 Geborenen. Jungen Menschen heute ist er nicht unbedingt sofort und unmittelbar nah. Zuerst spricht er sie oft mittelbar an – über den Umweg seiner heutigen Mitbrüder: Wenn junge Jesuiten eine echte persönliche Beziehung zu ihm haben, die sie „ausstrahlen“. Und über seine berührende Menschlichkeit: Wie er lacht, sich freut am Leben bis zum letzten Moment, von dem wir durch ein „Briefchen“ wissen. Sein Martyrium hatte so wenig Heroisches auf eine bestimmte Weise, sondern etwas Bescheidenes und Tastendes, das ist sehr ansprechend. Und dann ist etwas, was gerade junge Menschen heute begeistert: die Klarheit seiner Position, politisch und menschlich, für die er etwas riskiert. Dieses Gerade und Klare seines Eintretens für Gott und eine menschliche Gesellschaft, das haben junge Menschen heute oft, und das hat er auch.
Karl Kern SJ: „Es muss eine Schicht Menschen geben, die das Ganze übersehen, um die Zusammenhänge wissen, die Verflechtungen kennen und die Wirklichkeitsfülle in all ihren Erscheinungen bis auf den Grund verfolgt haben…“, so schrieb Alfred Delp „Im Angesicht des Todes“. Die Oberflächlichkeit unserer hektischen Zeit, das Kurzatmige und Getriebene, die Fixierung auf das individuelle Wohlergehen und das Überspielen der untergründigen Angst würde Delp heute kritisch analysieren und die begeistern, die weiter und tiefer blicken wollen.
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Die HFPH feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Welchen Gedanken von Alfred Delp SJ sollte sich die Hochschule für die nächsten 100 Jahre einprägen?
Britta Müller-Schauenburg CJ: Da ich die nächsten 100 Jahre jetzt auch noch nicht kenne, scheint mir – unter allen Gedanken von ihm, die ich für die heutige Gegenwart wichtig finde – das wichtigste sein Sinn für den je gegenwärtigen Moment zu sein: Die Wahrheit und die argumentative und engagierte Mühe, die Wahrheit im Zweifelsfall dem Überleben vorzuziehen. So etwas kann Individuen treffen, aber auch Institutionen wie die HFPH.
Karl Kern SJ: Für eine Hochschule in jesuitischer Trägerschaft müsste immer die Gottbezogenheit des Menschen im Zentrum stehen. „Die Geburtsstunde der menschlichen Freiheit ist die Stunde der Begegnung mit Gott.“ Vielleicht ist es Aufgabe der nächsten Jahrzehnte, von einem (religiös, konfessionell, kulturell) objektivierten Gott zu einem wesentlichen Gott zu finden, der zum Menschen gehört. Könnte in diesem Sinne das 21. Jahrhundert nicht zu einem religiösen Zeitalter werden?
Medienschau
29.01.2025 — DLF — "Hochschule für Philosophie der Jesuiten wird 100 Jahre alt"
02.02.2025 — BR24 — "Vor 80 Jahren wurde der Jesuit Alfred Delp hingerichtet"
02.02.2025 — BR — "Gedenken: 80. Todestag von Pater Alfred Delp"
02.02.2025 — SZ — „Streiten wir, ohne auszugrenzen“
04.02.2025 — Abendzeitung — "Einstehen für Demokratie"
08.02.2025 — Abendzeitung — "Wir sind selbst die Demokratie"