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Wir begrüßen Prof. Dr. Julia Inthorn an der HFPH!

Auf dem Foto ist Porf. Dr. Julia Inthorn zu sehen. Sie ist Professorin für Angewandte Ethik an der HFPH.

Seit Beginn des Sommersemesters ist Prof. Dr. Julia Inthorn als Lehrbeauftragte und Professorin für Angewandte Ethik an der Hochschule für Philosophie München. Ihre Schwerpunkte sind Gesundheits- und Medizinethik, Ethik und Kommunikation sowie Theorie und Praxis der Bereichsethiken. In diesem Interview stellen wir Prof. Dr. Julia Inthorn vor. Herzlich Willkommen!

In den letzten Jahren waren sie als Direktorin des Zentrums für Gesundheitsethik beschäftigt. Auch jetzt als Professorin an der HFPH ist die Gesundheits- und Medizinethik ein wesentlicher Schwerpunkt von Ihnen. Was sind aktuell die großen Themen, die die Medizinethik beschäftigen? Mit welchen Fragestellungen setzen Sie sich insbesondere auseinander?

In Medizin und Pflege werden aktuell durch Künstliche Intelligenz, robotische Systeme und andere digitale Technologien große Fortschritte in der Versorgung erzielt und Möglichkeiten kontinuierlich erweitert. Hier ist gerade viel in Bewegung, es wird auch von ethischer Seite viel geforscht, denn es stellen sich viele grundlegende aber auch sehr konkrete ethische Fragen. Für jede neue Anwendung, jede neue Option sind beispielsweise Nutzen und Schaden gegeneinander abzuwägen. Darüber hinaus werden durch KI, Digitalisierung und robotische Unterstützungssysteme aber auch weitreichendere Fragen aufgeworfen, etwa was (Mit)Menschlichkeit und Fürsorge in der Versorgung von vulnerablen Menschen im Kern ausmacht, wenn neue technische Unterstützungssysteme in die Versorgung integriert werden. Medizin- und Gesundheitsethik sind bei den Veränderungen, die durch wissenschaftlichen oder technologischen Fortschritt entstehen, beständige Begleiterinnen. Meine eigene aktuelle Forschung ist im Bereich der sogenannten personalisierten Medizin angesiedelt und ich freue mich auf neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit, insbesondere durch CreAITech.
Neben den Fragen, die durch wissenschaftlich-technischen Fortschritt aufgeworfen werden, ist Medizin- und Gesundheitsethik auch fortlaufend mit der kritischen Reflexion der (etablierten) Praxis befasst. Professionsethische Positionen sind immer wieder durch veränderte Rahmenbedingungen und neuen Konstellationen herausgefordert. Aktuell sind insbesondere der Umgang mit Personalmangel in allen Versorgungsbereichen, die Veränderungen in der Versorgungsstruktur zwischen ambulanten und stationären Anbietern aber auch das Themenfeld Gesundheit und Klimakrise Themen, in denen wichtige Debatten stattfinden und an denen ich mit Kolleg*innen in verschiedenen Zusammenhängen arbeite.

In welcher Weise werden diese Themen auf die Lehre Einfluss haben? Auf was dürfen sich Studierende im kommenden Semester freuen?

Bereichsethische Fragen erhalten ihren besonderen Zuschnitt durch die Verbindung von theoretischen Überlegungen und konkreter Beschreibung des Feldes und der darin gegebenen praktischen Handlungsoptionen. In den Lehrveranstaltungen werden wir uns von verschiedenen Seiten diesen Schnittflächen annähern und so immer wieder den Transfer zwischen Theorie und Praxis in beide Richtungen erproben und an konkreten Beispielen aus einer Vielzahl an Anwendungsbereichen diskutieren.
Aspekte aus meiner Forschung werden dabei immer wieder eine Rolle spielen, noch wichtiger ist mir aber, dass im Sinne von forschendem Lehren und Lernen, die Fragen aus den Praxiskontexten, aus denen die Studierenden Erfahrungen mitbringen, Raum haben und wir gemeinsam als Fragende und Forschende Themen festlegen und vertiefen.

Was sind die wichtigsten ethischen Prinzipien, die bei medizinischen Entscheidungen berücksichtigt werden sollten?

In der Medizinethik gibt es – anders als in anderen Bereichsethiken – mit den sogenannten vier bioethischen Prinzipien von Beauchamp und Childress einen schwergewichtigen Vorschlag auf diese Frage, der ein international wichtiger Referenzpunkt in den verschiedensten Debatten geworden ist, der aber gleichzeitig keinen Anspruch auf universale Gültigkeit der Prinzipien erhebt. Die Vorstellungen jedes und jeder Einzelnen von Gesundheit, Krankheit, Lebensqualität und Sterben sind höchst individuell, sowohl bei Ärzt*innen als auch bei Patient*innen. Darin fußende individuelle Moralvorstellungen bilden neben fachlichem Wissen die Grundlage von Entscheidungen in der Gesundheitsversorgung. Das wirft die Frage auf, wie in einer pluralen Gesellschaft allgemeinverbindliche Regeln für Entscheidungen im Gesundheitsversorgungskontext gefunden werden können und in welchem Verhältnis rechtliche Regelungen zu ethischen Abwägungen und professionsethischen Grundlagen, Ethikleitlinien oder individuellen Haltungen stehen.

Wie gehen Sie mit Konflikten zwischen medizinischer Notwendigkeit und ethischen Werten um?

In der Klinischen Ethik, also dem Teilbereich der Gesundheits- und Medizinethik, der sich mit der ethischen Dimension konkreter Entscheidungen in der Patient*innenversorgung befasst, werden solche Themen intensiv bearbeitet. Dabei geht es vor allem darum, was die in der Gesundheitsversorgung Tätigen brauchen, um in schwierigen Entscheidungssituationen, etwa am Lebensende, verantwortlich entscheiden zu können und wie Entscheidungen im Team – insbesondere bei unterschiedlichen Einschätzungen – gefunden werden können. Klinische und außerklinische Ethikkomitees und ausgebildete Ethikberater*innen können durch das Angebot von ethischen Fallbesprechungen solche Entscheidungsprozesse strukturieren und unterstützen. Hierzu forsche ich aktuell. Dabei legen wir den Fokus auf ethische Kompetenz des Einzelnen und in Teams. Aktuell gehen wir der Frage nach, wie ethische Kompetenz für die Verständigung über Wertfragen in Teams aufgebaut werden kann und welche Rolle ethische Fallgespräche dabei haben können.

Wie sehen Sie die Rolle der Medizinethik in einer zunehmend digitalisierten und technologisierten Gesundheitsversorgung?

Die Digitalisierung und technische Entwicklung wirft, wie oben bereits geschildert, viele Fragen auf, sowohl grundsätzliche als auch in konkreten Anwendungsfragen. Hier sehe ich eine wichtige Aufgabe der Gesundheits- und Medizinethik auch die Verfahren von Entscheidungen beispielsweise in der Entwicklung von Systemen, der Anschaffung oder auch der Qualitätskontrolle zum Gegenstand ethischer Reflexion zu machen und neben möglichen Kriterien der Bewertung auch über Fragen von Partizipation und dem Einbeziehen der verschiedenen Perspektiven auf Versorgung nachzudenken.
Darüber hinaus wird aktuell auch dazu geforscht, wie ggf. die ethische Dimension von Entscheidungen automatisiert und dadurch verbessert werden kann. Hier haben wir spannende Debatten zu erwarten bis hin zu der Frage, ob sich auch gesundheitsethische Abwägungen durch Entscheidungsunterstützungssysteme verbessern lassen – und wo ggf. die Antwort von Ethiker*innen vorzuziehen ist.

Sie befassen sich an der HFPH nicht nur mit Medizinethik, sondern auch Ethik und Kommunikation sowie Theorie und Praxis der Bereichsethiken gehören zu Ihren Arbeitsschwerpunkten als Professorin für Angewandte Ethik.  Was wird die Studierenden erwarten? Mit welchen Forschungsfragen werden Sie sich auseinandersetzen?

In den Bereichsethiken, und hier sind sowohl Medizinethik als auch Medienethik hervorragende Beispielfelder, gibt es einen sehr engen Zusammenhang von Ethik und Kommunikation. Diesen Zusammenhang gilt es immer wieder sowohl systematisch als auch methodologisch und an Hand von konkreten Handlungsbereichen zu beleuchten. Das heißt, dass es manchmal sehr abstrakt werden kann, wenn es etwa um das Verhältnis von normativen und deskriptiven Aussagen geht. Umgekehrt wird es aber auch konkret und die Überlegungen werden auf ihre „Anwendbarkeit“ d.h. Praxistauglichkeit im Sinne einer translational ethics geprüft. Zentral ist dabei die Frage, welche Kompetenzen Akteur*innen in realen Entscheidungssituationen brauchen, um in gemeinsamen Gesprächen zu ethisch gut begründeten Entscheidungen zu kommen. Für Studierende wird entsprechend sowohl theoretisches als auch konkretes in verschiedensten Anwendungsbereichen thematisch werden.

Einen weiteren Fokus setzen Sie auf Medienethik. Wie geht es mit diesem Themenfeld unter Ihrer Leitung an der HFPH weiter?

An der HFPH gibt es eine lange vor mir, bereits durch meinen Doktorvater, Prof. Funiok SJ, etablierte Arbeit zu medienethischen Fragen. Dazu gehören auch über die Jahre gewachsene Netzwerke der Zusammenarbeit. Ich freue mich, hier so viel vorzufinden, an das ich nun anknüpfen kann. In vielen Gesprächen dazu sind schon Ideen erwachsen. Als Beispiel wäre hier unter anderem das von Pater Funiok mitbegründete Netzwerk Medienethik zu nennen, mit dem bereits über gemeinsame Schritte nachgedacht wird. Auch im Bereich Forschung verbinden sich die etablierten Netzwerke mit meinen bisherigen Arbeitsschwerpunkten. Ein Beispiel dafür ist eines meiner abgeschlossenen Drittmittelprojekte zu Moderner Medizintechnik im Altenheim (MoMimA), bei dem der Kooperationspartner, das JFF in München, von medienpädagogischer Seite Pflegeschüler*innen dazu befähigt hat, Ergebnisse ethischer Reflexion mit Hilfe von Kampagnenmedien in den (fach)öffentlichen Diskurs einzuspeisen. Dies will ich an Hand aktueller Fragestellungen in neuen Formaten vertiefen.

Wo sehen Sie Schnittstellen zwischen Medizinethik und Medienethik?

Eine sehr konkrete Schnittstelle und gleichzeitig besonders relevantes Anwendungsfeld sehe ich dort, wo medizinisches Fachwissen aber auch konkurrierende Vorstellungen von Gesundheit, Krankheit und Gesundheitsfürsorge im öffentlichen Diskurs eine Rolle spielen. Man kann sich dieser Frage von Seiten der Medienethik annähern und nach verantwortlichem Medienhandeln der verschiedenen Akteur*innen fragen. Das umfasst beispielsweise Fragen von Wissenschaftskommunikation, dem Status von Expert*innen und der Bedeutung von Narrativen, in denen normative und deskriptive Aspekte zusammenkommen. Umgekehrt kann man sich auch von Seiten der Medizinethik nähern und aus professionsethischer Sicht fragen, welche Verantwortung Ärzt*innen haben, relevantes Gesundheitswissen auch außerhalb von Praxis und Krankenhaus zur Verfügung zu stellen.

 

2025 wird unsere Hochschule 100 Jahre alt. Was wünschen Sie der HFPH zu diesem Jubiläum?

Zunächst: Herzliche Glückwünsche! Die HFPH hat sich über mehrere Generationen von Lehrenden einen hervorragenden Ruf erarbeitet, in der philosophischen Lehre in der Breite des Fachs und ebenso in der Verknüpfung des philosophischen Nachdenkens mit konkreten gesellschaftlich aktuellen Fragestellungen. Und es ist gelungen, das über die Jahrzehnte immer wieder zu transformieren und den gesellschaftlichen Anforderungen anzupassen ohne dabei grundlegende Ansprüche aufzugeben. Ich wünsche der HFPH wunderbare Feierlichkeiten zu diesem Jubiläum, bei denen all das präsentiert und gefeiert werden kann und die für solche Ereignisse nötige Aufmerksamkeit von außen. Und dann wünsche ich ihr ein ebenso erfolgreiches weiteres Jahrhundert des Wirkens!

Zur Person

 

Nach dem Studium der Mathematik, Statistik, Erwachsenenbildung und Philosophie und der Promotion in Philosophie war Prof. Inthorn wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektmitarbeiterin an verschiedenen medizinethischen Instituten im In- und Ausland. Sie spezialisierte sich dabei im Bereich der empirischen Medizin- und Bioethik. Bis zu ihrer Berufung an die HFPH war sie Direktorin des Zentrums für Gesundheitsethik und mit ihrem Team verantwortlich für Forschung und Vermittlung insbesondere zu ethischen Fragen im klinischen und außerklinischen Versorgungskontexten.

 

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