Rede der Studienabsolventin Elisa Morell, gehalten bei der Zeugnisfeier am 25. April 2025:
Liebe Absolvent*innen, liebe Eltern, liebe Angehörige, lieber Herr Präsident, liebes
Professorium, liebe Mitarbeiter*innen,
mit Freunden im Supermarkt kaufe ich ungern Schokolade.
„Das ist ganz normal, gut ankommen will jeder“, dachte ich vor meinem Philosophiestudium.
Heute dagegen formuliert mein Kopf, wenn ich neben Charlotte und Pascal vor der Gefriertruhe
im Rewe-City stehe, eher ein: „Die beiden treten mir gerade in der Gestalt des großen Anderen
gegenüber, dessen enigmatische Anrufungsstruktur meine Subjektivität dazu bringt, meine
ausgestreckte Hand vor der Magnum-Mandel-Packung sinken zu lassen.“ Sie sehen, Erich
Kästner hatte recht, wenn er bezeugte: „Manche Menschen benützen ihre Intelligenz zum
Vereinfachen – manche zum Komplizieren.“ Es ist definitiv auch das, was ich in meinen Jahren
an der Hochschule für Philosophie lernen durfte.
Hier in der Kaulbachstraße lernte ich nämlich Begriffe wie ‚Dialektik‘, ‚Ontologie‘ oder
‚Antlitz‘ beiläufig zu verwenden. Ich lernte aber auch, in einfacher Sprache, dass Veränderung
der Übergang von Möglichkeit in Wirklichkeit ist, dass das Leib-Seele-Problem ein echtes
Problem ist und dass es im Politischen oft gar nicht darauf ankommt, über was gesprochen wird,
sondern darauf, wer spricht. Darüber hinaus habe ich gelernt, in den Münchner Kammerspielen
nur in Aufführungen zu gehen, die schon mindestens in der zweiten Spielzeit laufen. Ich habe
gelernt, dass man gute Romane an der Qualität ihrer Sexszenen erkennen kann. Und auch, dass
Bildungsbürger kein Spotify hören. Die App hat schließlich Schwierigkeiten zwischen dem
Komponisten, der Dirigentin und den Musikern zu unterscheiden. Es ist schließlich nur eine
Spalte für die Künstler vorgesehen. Man kann also von einem Studenten hier nicht einmal eine
einfache Antwort auf eine Frage wie: „Was hörst du eigentlich auf Spotify?“ erwarten.
Denn wir Studierenden haben gelernt: Nicht nur Antworten, sondern immer auch Fragen
müssen zur Debatte stehen. Und ja, ich gebe zu, auch ich hatte nicht den Mut, einem Professor
Sans in der Gotteslehre-Prüfung auf die Frage: „Kann man Gott als nicht-existierend denken?“
zu antworten: „Wissen Sie was – ich glaube, die Frage ist schon falsch gestellt.“ Aber meine
ehrliche Einschätzung lautet: Wenn ich meine Antwort „pfiffig“ begründet hätte, wäre diese
Antwort nicht nur akzeptiert worden, sie hätte vermutlich nicht einmal negative Auswirkungen
auf meine Leistung gehabt. Und genau das reichert für mich den Leitspruch unserer Hochschule
an: „Denken lernen“ bedeutet zu ahnen, worüber es sich nachzudenken lohnt. Oder, um es noch
einmal mit Erich Kästner zu sagen: „Denkt an das fünfte Gebot! Schlagt nicht eure Zeit tot!“
Vielen Dank!
— Elisa Morell